Die Wohlgesinnten
SS-Dienststellen würden angewiesen, mit mir zusammenzuarbeiten; aber mir obliege es, für eine möglichst erfreuliche Zusammenarbeit zu sorgen. »Alle Ihre Fragen und Berichte sind an mich zu richten«, schloss Brandt. »Persönlichen Kontakt zu Ihnen wird der Reichsführer nur aufnehmen, wenn er es für nötig hält. Heute wird er Sie empfangen, um Ihnen zu erklären, was er von Ihnen erwartet.« Ich hatte ihm reglos zugehört; ich begriff zwar nicht, wovon er sprach, hielt es aber für klüger, erst einmal alle Fragen für mich zu behalten. Brandt bat mich, in einem Wartezimmer im Erdgeschoss Platz zu nehmen; neben Tee und Gebäck fand ich dort auch Zeitschriften vor. Doch ich wurde es bald leid, im gedämpften Licht dieses Salons die alten Nummern des Schwarzen Korps durchzublättern; leider durfte man im ganzen Gebäude nicht rauchen, der Reichsführer hatte es wegen des Geruchs verboten, und ich konnte auch nicht zum Rauchen auf dieStraße gehen, falls ich aufgerufen wurde. Am Spätnachmittag wurde ich geholt. Im Vorzimmer erhielt ich von Brandt letzte Verhaltensmaßregeln: »Geben Sie keine Kommentare ab, stellen Sie keine Fragen, reden Sie nur, wenn Sie gefragt werden.« Dann führte er mich hinein. Heinrich Himmler saß hinter seinem Schreibtisch; in strammer Haltung trat ich vor, salutierte, und Brandt zog sich zurück, nachdem er dem Reichsführer eine Akte übergeben hatte. Himmler bedeutete mir, mich zu setzen, und blätterte in der Akte. Sein Gesicht erschien seltsam undeutlich, farblos, der kleine Schnurrbart und der Kneifer unterstrichen noch den unbestimmten Charakter seiner Züge. Er schaute mich mit einem kleinen freundlichen Lächeln an; als er den Kopf hob, wurde das Licht von den Gläsern seines Kneifers reflektiert und machte sie undurchsichtig, seine Augen waren wie hinter zwei runden Spiegeln verborgen: »Sie scheinen heute in besserer Verfassung zu sein als bei unserem letzten Zusammentreffen, Sturmbannführer.« Ich war sehr erstaunt, dass er sich daran erinnerte; vielleicht stand eine Notiz in der Akte. Er fuhr fort: »Sie haben sich von Ihrer Verwundung vollkommen erholt? Das ist schön.« Er blätterte wieder einige Seiten durch. »Ich sehe, dass Ihre Mutter Französin ist?« Das schien mir eine Frage zu sein, also riskierte ich eine Antwort: »In Deutschland geboren, mein Reichsführer. Im Elsass.« – »Ja, aber trotzdem Französin.« Wieder hob er den Kopf, dieses Mal spiegelte sich das Licht nicht in seinem Kneifer, sodass ich seine Augen sah, etwas eng stehend, aber mit überraschend sanftmütigem Blick. »Wissen Sie, im Prinzip dulde ich niemals Männer in meinem Stab, die Fremdblut in den Adern haben. Das ist wie russisches Roulette: zu riskant. Man weiß nie, was da zum Vorschein kommt, selbst bei sehr guten Offizieren. Aber Dr. Mandelbrod hat mich bewogen, eine Ausnahme zu machen. Er ist ein sehr kluger Mann, auf dessen Urteil ich viel gebe.« Er machte eine Pause. »Ich hatteeigentlich einen anderen Kandidaten für den Posten im Auge. Den Sturmbannführer Gerlach. Bedauerlicherweise ist er vor einem Monat ums Leben gekommen. In Hamburg, bei einem englischen Fliegerangriff. Er hat sich nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht und einen Blumentopf auf den Kopf bekommen. Begonien, glaube ich. Oder Tulpen. Er war sofort tot. Diese Engländer sind Ungeheuer. Bombardieren Zivilisten, einfach so, ohne Unterschied. Nach dem Sieg werden wir sie als Kriegsverbrecher vor Gericht stellen. Die Schuldigen werden sich für diese Gräueltaten verantworten müssen.« Schweigend vertiefte er sich wieder in meine Personalakte. »Sie werden bald dreißig und sind nicht verheiratet«, sagte er und hob wieder den Kopf. »Warum?« Sein Tonfall war streng, schulmeisterlich. Ich spürte, wie ich rot wurde: »Es hat sich noch nicht ergeben, mein Reichsführer. Ich habe mein Studium kurz vor dem Krieg beendet.« – »Sie sollten es ernsthaft erwägen, Sturmbannführer. Ihr Blut ist wertvoll. Wenn Sie im Laufe dieses Krieges umkommen, darf es Deutschland nicht verloren gehen.« Meine Worte kamen mir ganz von allein über die Lippen: »Ich bitte um Entschuldigung, mein Reichsführer, aber meine heilige Pflicht als Nationalsozialist und SS-Mann gestattet mir nicht, an eine Eheschließung zu denken, solange mein Volk nicht der Gefahren Herr geworden ist, die es von allen Seiten bedrohen. Die Liebe zu einer Frau muss den Mann zwangsläufig schwächen. Den anstehenden Aufgaben habe ich meine ganze Kraft zu
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