Die Wohlgesinnten
werden Sie schon verstehen.« In der Tat, die Stunde, die ich mich bei Standartenführer Dr. Lolling aufhielt, brachte mir zwar kaum Informationen über die medizinischen Probleme der KL, wohl aber, trotz meiner Gereiztheit, die Erkenntnis, warum die einzelnen medizinischen Einrichtungen der KL allein zurechtkommen mussten. Lolling, dessen Abteilung die Sanitätseinrichtungen aller Lager unterstellt waren, war alt, von konfuser Geistesverfassung und hatte wässrige Augen; er war nicht nur Alkoholiker, sondern bediente sich, wie allgemein bekannt, auch täglich aus seinen Morphiumvorräten. Ich begriff nicht, wie ein solcher Mann sich in der SS halten, und noch weniger, wie er einen so verantwortungsvollen Posten bekleiden konnte. Zweifellos besaß er Gönner in der Partei. Trotzdem luchste ich ihm einen Stapel höchst nützlicher Berichte ab: Weil ihm nichts Besseres einfiel und um seine Unfähigkeit zu kaschieren, verbrachte Lolling seine Zeit damit, von seinen Untergebenen Berichte anzufordern; und das waren nicht alles Männer wie er, daher fanden sich auch durchaus substanzielle Dokumentationen darunter.
Blieb noch Maurer, Schöpfer und Chef des Arbeitseinsatzes, der Abteilung D II laut Organisationsschema des WVHA. Ehrlich gesagt, hätte ich auf die anderen Besuche, auch mein Vorsprechen bei Liebehenschel, gut verzichten können. Standartenführer Gerhard Maurer, ein noch junger Mann, ohne Studium, aber mit solider Berufserfahrung in Buchhaltung und Verwaltungsarbeit, war aus dem obskuren Dasein in einer Amtsstube der ehemaligen SS-Verwaltung von Oswald Pohl hervorgeholt worden und hatte sich rasch durch seine administrativen Fähigkeiten, seine Initiative und seinen ausgeprägten bürokratischen Realitätssinn für höhere Aufgaben empfohlen. Als Pohl die IKL wieder unter seine Fittiche nahm, forderte er Maurer auf, das D II aufzubauen,um den Arbeitseinsatz der Lagerhäftlinge zu zentralisieren und zu rationalisieren. Ich musste ihn in der Folgezeit noch einige Male aufsuchen und stand in regelmäßigem Schriftverkehr mit ihm, eine Zusammenarbeit, die ich stets als äußerst befriedigend empfand. In gewisser Weise verkörperte er für mich das Ideal des Nationalsozialisten, der ein Mann der Weltanschauung, aber auch ein Mann der Tat und der Ergebnisse sein soll. Und konkrete, messbare Ergebnisse waren Maurers Leben. Wenn er auch nicht selbst alle Maßnahmen entwickelt haben mochte, die im Rahmen des Arbeitseinsatzes durchgeführt wurden, so war doch das beeindruckende System der statistischen Datenerfassung, dem jetzt alle Lager des WVHA unterworfen waren, ganz allein sein Werk. Dieses System erläuterte er mir geduldig, indem er mir die standardisierten Formularvordrucke zeigte, die jedes Lager ausgefüllt zurückschicken musste, und darlegte, welche Zahlen besonders wichtig und wie sie richtig zu interpretieren waren: So gesehen, waren diese Zahlen aufschlussreicher als ein ausführlicher Bericht; untereinander vergleichbar und damit außerordentlich informativ, ermöglichten sie Maurer, ohne dass er sein Büro verlassen musste, genau zu verfolgen, in welchem Maße und mit welchem Erfolg seine Befehle ausgeführt wurden. Dank dieser Daten konnte er mir Liebehenschels Einschätzung bestätigen. Nachdrücklich kritisierte er die reaktionäre Haltung der Kommandanten, die »noch nach der Methode Eicke ausgebildet« seien, das heißt qualifiziert im Sinne der alten repressiven und polizeilichen Funktionen, aber im Großen und Ganzen engstirnig und inkompetent, unfähig, die modernen Verwaltungstechniken den neuen Erfordernissen anzupassen: »Diese Männer sind nicht schlecht, aber den Anforderungen nicht gewachsen, die heute an sie gestellt werden.« Maurer selbst kannte nur ein einziges Ziel: Aus den KL ein Maximum an Arbeitsleistung zu gewinnen. Er bot mir keinen Kognak an, aber alsich mich verabschiedete, schüttelte er mir herzlich die Hand: »Freut mich außerordentlich, dass sich der Reichsführer endlich um unsere Probleme kümmert. Meine Dienststelle steht jederzeit zu Ihrer Verfügung, Sturmbannführer, Sie können stets auf mich zählen.«
Ich kehrte nach Berlin zurück und verabredete mich mit einem alten Bekannten: Adolf Eichmann. Er empfing mich persönlich in der riesigen Eingangshalle seiner Dienststelle in der Kurfürstenstraße, wobei er sich in seinen schweren Reitstiefeln nur in kleinen Schritten auf den gewachsten Marmorfliesen bewegte, und gratulierte mir herzlich zu meiner Beförderung.
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