Die Wohlgesinnten
Ihm meinerseits gratulierend, sagte ich: »Sie sind ja ebenfalls befördert worden. In Kiew waren Sie noch Sturmbannführer.« – »Ja«, sagte er zufrieden, »aber Sie haben inzwischen zwei Beförderungen hinter sich. Kommen Sie, kommen Sie.« Trotz des höheren Dienstgrads kam er mir merkwürdig beflissen und bemüht vor; vielleicht war er beeindruckt, weil ich im Auftrag des Reichsführers kam. In seinem Dienstzimmer ließ er sich in seinen Stuhl fallen, schlug die Beine übereinander, legte seine Mütze nachlässig auf einen Stapel Akten, nahm seine dicke Brille ab und schickte sich an, sie mit einem Taschentuch zu putzen, während er lauthals nach seiner Sekretärin rief: »Frau Werlmann! Kaffee, bitte!« Amüsiert beobachtete ich diesen Auftritt: Seit Kiew hatte Eichmann an Selbstvertrauen gewonnen. Er hielt seine Brille gegen das Fenster, prüfte sie sorgfältig, putzte sie noch einmal, dann setzte er sie wieder auf. Unter einem Aktenordner zog er eine Schachtel hervor und bot mir eine holländische Zigarette an. Mit dem Feuerzeug in der Hand deutete er auf meine Brust: »Sie sind ja mehrfach dekoriert worden, nochmals meinen Glückwunsch. Das ist der Vorteil, wenn man an der Front ist. Hier, weit vom Schuss, haben wir überhaupt keine Gelegenheit, Auszeichnungen zu bekommen. Mein Amtschef hat mir das Eiserne Kreuz verleihen lassen,aber das war wirklich nur, damit ich irgendetwas habe. Ich hatte mich freiwillig zu den Einsatzgruppen gemeldet, wussten Sie das? Aber C. – so hatte sich Heydrich, um sich einen britischen Anstrich zu geben, von seinen Getreuen nennen lassen – hat mir befohlen, hierzubleiben. Sie sind mir unentbehrlich , hat er gesagt. Zu Befehl , hab ich gesagt, da hatte ich keine Wahl.« – »Aber Sie haben doch einen interessanten Posten. Ihr Referat ist eines der wichtigsten in der Geheimen Staatspolizei .« – »Ja, aber die Aufstiegsmöglichkeiten sind minimal. Ein Referat wird von einem Regierungsrat oder Oberregierungsrat oder dem Inhaber eines entsprechenden SS-Dienstgrads geleitet. Daher kann ich auf diesem Posten eigentlich nicht über den Obersturmbannführer hinauskommen. Ich habe mich bei meinem Amtschef beklagt: Er hat mir gesagt, ich hätte es verdient, befördert zu werden, aber er wolle keine Probleme mit seinen anderen Referatsleitern haben.« Er kniff die Lippen zusammen. Seine Stirnglatze glänzte unter der Deckenlampe, die bei helllichtem Tag brannte. Eine Sekretärin mittleren Alters trat mit einem Tablett und zwei dampfenden Tassen ein, die sie vor uns abstellte. »Milch? Zucker?«, fragte Eichmann. Ich schüttelte den Kopf und sog den Duft ein: Es war echter Bohnenkaffee. Während ich in die Tasse blies, fragte mich Eichmann ohne Umschweife: »Sind Sie für die Einsatzaktion ausgezeichnet worden?« Sein Gejammer begann mir auf die Nerven zu gehen; ich wollte zum Anlass meines Besuchs kommen. »Nein«, erwiderte ich, »ich bin hinterher nach Stalingrad versetzt worden.« Eichmanns Gesicht verdüsterte sich, und er nahm mit einer kurzen Bewegung seine Brille ab. »Ach so«, sagte er und richtete sich auf, »Sie sind in Stalingrad gewesen. Mein Bruder Helmut ist dort gefallen.« – »Wie schrecklich. Mein aufrichtiges Beileid. Ein älterer Bruder?« – »Nein, jünger. Er war dreiunddreißig. Unsere Mutter hat sich noch immer nicht davon erholt. Er ist in Erfüllung seiner vaterländischenPflicht als Held gefallen. Ich bedaure sehr«, fügte er gravitätisch hinzu, »dass mir dies nicht zuteil wurde.« Ich packte die Gelegenheit beim Schopf: »Ja, aber Deutschland fordert von Ihnen andere Opfer.« Er setzte seine Brille wieder auf und trank einen Schluck Kaffee. Dann drückte er seine Zigarette in einem Aschenbecher aus: »Sie haben Recht. Ein Soldat sucht sich seinen Posten nicht aus. Was kann ich also für Sie tun? Wenn ich den Brief von Obersturmbannführer Brandt richtig verstanden habe, sind Sie beauftragt, den Arbeitseinsatz zu untersuchen, richtig? Ich verstehe nicht recht, was das mit meinem Referat zu tun hat.« Ich zog einige Blätter aus meiner kunstledernen Aktentasche. (Jedes Mal, wenn ich diese Aktentasche anfasste, hatte ich ein unangenehmes Gefühl; wegen der Rationierung aber hatte ich nichts anderes auftreiben können. Als ich Thomas um Rat gefragt hatte, hatte er mich ausgelacht: »Ich wollte eine Schreibtischgarnitur aus Leder, du weißt schon, Schreibmappe, Schreibetui. Ich habe einem Freund geschrieben, in Kiew, einem Burschen, der in der Gruppe
Weitere Kostenlose Bücher