Die Wohlgesinnten
und noch immer in Unterhose am Rande des Schwimmbeckens stand, rief: »Franz! Was zum Teufel macht ihr da?« Die beiden Orpos salutierten; die Häftlinge, die beim Gehen die Augen zu Boden gerichtet und das Käppi in der Hand hielten, blieben stehen. »Jidden, die wir beim Klauen von Kartoffelschalen erwischt haben, Herr Sturmbannführer«, erklärte einer der Orpos mit dem harten Akzent desVolksdeutschen. »Unser Scharführer hat gesagt, wir sollen sie erschießen.« Claasens Gesicht verfärbte sich: »Das wollt ihr doch wohl nicht hier erledigen, hoffe ich. Der Gruppenführer hat Gäste.« – »Nein, nein, Herr Sturmbannführer, wir gehen ein Stück weiter, zu dem Graben da unten.« Ohne Vorankündigung fühlte ich mich plötzlich von einer unsinnigen Angst überwältigt: dass die Orpos die Juden an Ort und Stelle erschießen und in das Schwimmbecken werfen würden, und wir müssten in dem Blut und zwischen den bäuchlings dahintreibenden Leichen schwimmen. Ich betrachtete die Juden; einer der beiden, er mochte um die vierzig sein, musterte die jungen Frauen verstohlen, der andere, jünger, mit gelblicher Haut, hielt die Augen fest auf den Boden gerichtet. Ohne im Mindesten von den letzten Worten des Orpos beruhigt zu sein, fühlte ich eine starke Anspannung, meine Angst wuchs unaufhaltsam. Während die Orpos weitergingen, blieb ich in der Mitte des Beckens, zwang mich, tief zu atmen und auf dem Rücken liegen zu bleiben. Doch das Wasser erschien mir jetzt wie eine dicke, erstickende Soße. Dieser seltsame Zustand dauerte an, bis ich zwei Schüsse hörte, in einiger Entfernung, kaum hörbar, wie das gedämpfte pop! pop! von Champagnerkorken. Langsam wich meine Angst und war ganz verschwunden, als ich die Orpos zurückkommen sah, immer noch mit ihrem schweren, bedächtigen Schritt. Im Vorbeigehen grüßten sie wieder und setzten ihren Weg in Richtung Lager fort. Claasen redete mit einer der Frauen, Wippern versuchte, seine Uniform auszuwringen. Ich ließ mich auf dem Rücken treiben.
Ich traf mich erneut mit Morgen. Er war im Begriff, Koch und dessen Frau anzuklagen, außerdem einige andere Offiziere und Unterführer aus Buchenwald und Lublin; unterdem Siegel der Verschwiegenheit teilte er mir mit, dass auch Florstedt vor Gericht gestellt würde. In allen Einzelheiten zeigte er mir, welche List diese korrupten Männer anwandten, um ihre Unterschlagungen zu vertuschen, und mit welchen Methoden er sie überführte. Er verglich die Aufzeichnungen der verschiedenen Lagerabteilungen: Selbst wenn die Betrüger eine Buchung oder Eintragung fälschten, machten sie sich nicht die Mühe, ihre Fälschungen den Unterlagen und Berichten der anderen Abteilungen anzupassen. So hatte Morgen seine ersten stichhaltigen Beweise für Kochs Morde in Buchenwald bekommen, als er festgestellt hatte, dass sich ein und derselbe Häftling den Unterlagen zufolge zur gleichen Zeit an zwei verschiedenen Orten aufgehalten haben sollte: Unter einem bestimmten Datum fand sich im Verzeichnis des Gefängnisses der Politischen Abteilung neben dem Namen des Häftlings die Eintragung »mittags entlassen«, während im Belegungsbuch des Krankenreviers stand: »Patient um 9.15 Uhr verstorben.« Tatsächlich war der Häftling im Gestapo-Gefängnis ermordet worden, aber es sollte der Eindruck erweckt werden, er sei an einer Krankheit gestorben. Ebenso könne man, wie Morgen mir erklärte, verschiedene Inventurlisten und Register des Krankenreviers mit denen der Blocks vergleichen, um Beweise für die Unterschlagung von Lebensmitteln, Medikamenten oder Wertsachen zu finden. Dass ich Auschwitz aufsuchen wollte, war für ihn von großem Interesse: Es führten nämlich mehrere Spuren, die er verfolgte, in dieses Lager. »Das ist sicherlich das reichste Lager, weil die meisten Sondertransporte des RSHA jetzt dorthin gehen. Wie hier bei der ›Aktion Reinhardt‹ haben sie riesige Depots, um konfiszierte Habe zu sichten und zu stapeln. Ich nehme an, dass es dort zu Unterschlagungen und Diebstählen ungeahnten Ausmaßes kommt. Wir sind durch ein Paket darauf gekommen, das vom KL aus mit der Feldpost verschickt worden ist: Wegen seines ungewöhnlichenGewichts ist es geöffnet worden; es waren drei Klumpen Zahngold darin, jeder faustgroß, die ein Lagersanitäter seiner Frau schicken wollte. Ich habe ausgerechnet, dass eine solche Menge Gold für mehr als hunderttausend Tote steht.« Ich konnte einen Ausruf des Erstaunens nicht unterdrücken. »Und stellen
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