Die Wohlgesinnten
»Verstehe. Und sehen Sie ihn oft?« – »Wenn wir Urlaub haben. Er möchte, dass ich zu ihm ziehe, aber ich weiß nicht so recht. Da unten ist es offenbar sehr schmutzig. Aber er sagt, ich brauch seine Juden gar nicht zu sehen und dass er dort ein schönes Haus für uns finden kann. Aber wenn wir nicht verheiratet sind … ich weiß nicht, er muss sich scheiden lassen. Was meinen Sie?« Ich hatte den Mund voller Hirschbraten und begnügte mich mit einem Achselzucken. Dann unterhielt ich mich mit Claasen. Gegen Ende der Mahlzeit erschien eine Kapelle, baute sich auf den Stufen auf, die in den Garten führten, und begann mit einem Walzer. Mehrere Paare standen auf, um auf dem Rasen zu tanzen. Die junge Sekretärin, wohl von meinem mangelnden Interesse an ihrem Liebesleid enttäuscht, tanzte mit Claasen. An einem anderen Tisch entdeckte ich Horn, der erst spät gekommen war, und stand auf, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Er hatte mir einmal, als er meine Aktentasche aus Kunstleder bemerkte, unter dem Vorwand, die Qualität der Arbeit seiner Juden zu demonstrieren, vorgeschlagen, mir eine aus echtem Leder anfertigen zu lassen; und die hatte ich gerade bekommen,ein schönes Stück aus Saffianleder mit Messingreißverschluss. Ich dankte ihm herzlich, bestand aber darauf, das Leder und die Arbeitszeit zu bezahlen, um kein Missverständnis aufkommen zu lassen. »Kein Problem«, erklärte sich Horn einverstanden. »Wir stellen Ihnen eine Rechnung aus.« Morgen war offenbar gegangen. Ich trank noch ein Bier, rauchte, schaute den Tänzern zu. Es war warm, und nach dem schweren Fleisch und dem Alkohol begann ich in meiner Uniform zu schwitzen. Ich sah mich um: Mehrere Anwesende hatten ihre Uniformjacken etwas aufgeknöpft oder sogar ganz geöffnet; ich öffnete meinen Kragen. Globocnik ließ keinen Tanz aus, jedes Mal forderte er eine Frau in Zivil oder eine Sekretärin auf; auch meine Nachbarin landete in seinen Armen. Aber nur wenige Gäste hatten seine Energie: Nach einigen Walzern und anderen Tänzen ließ man die Kapelle etwas anderes spielen, und ein Chor aus Wehrmachts- und SS-Offizieren versammelte sich, um Drei Lilien, drei Lilien, / Die pflanzt’ ich auf mein Grab und andere Lieder vorzutragen. Claasen war mit einem Glas Kognak zu mir getreten; er war in Hemdsärmeln, das Gesicht rot und aufgedunsen; er lachte bitter, als das Orchester Es geht alles vorüber spielte, und summte die zynische Variante:
Es geht alles vorüber
Es geht alles vorbei
Zwei Jahre in Russland
Und nix ponimai.
»Wenn der Gruppenführer dich hört, Kurt, endest du als Sturmmann in Orjol, und da ist auch nix ponimai .« Wippern, ein anderer Abteilungsleiter der »Aktion Reinhardt«, war zu uns getreten und schimpfte mit Claasen. »Gut, dann geh ich eben schwimmen. Kommst du mit?« Claasen blickte mich an: »Sie auch? Hinten im Park ist ein Schwimmbecken.« Ich holtemir ein weiteres Bier aus einem Eiskübel und folgte ihnen zwischen den Bäumen hindurch: Vor uns hörte ich Gelächter und Planschen. Links verlief hinter den Kiefern ein Stacheldrahtzaun: »Was ist da?«, fragte ich Claasen. »Ein kleines Lager für Arbeitsjuden. Der Gruppenführer hält sie sich für Instandhaltungsarbeiten, für den Garten, den Fuhrpark, solche Sachen.« Das Schwimmbecken war vom Lager durch eine kleine Anhöhe getrennt; mehrere Personen, darunter zwei Frauen im Badeanzug, schwammen oder sonnten sich im Gras. Claasen zog sich bis auf die Unterhose aus und hechtete ins Wasser. »Kommen Sie!«, rief er, als er wieder auftauchte. Ich trank noch ein paar Schlucke, zog mich aus, faltete meine Uniform neben meinen Stiefeln zusammen und ging ins Wasser. Es war kühl und hatte ein bisschen die Farbe von Tee, ich machte ein paar Schwimmzüge, dann blieb ich in der Mitte auf dem Rücken liegen, betrachtete den Himmel und die schwankenden Baumwipfel. Hinter mir hörte ich die beiden jungen Frauen plaudern, sie saßen am Beckenrand und tauchten die Füße ins Wasser. Plötzlich brach ein Streit los: Einige Offiziere hatten Wippern, der sich nicht ausziehen wollte, ins Wasser gestoßen, er fluchte und tobte, als er sich in seiner durchnässten Uniform aus dem Becken zog. Während ich auf die lachenden Offiziere schaute und meine Position in der Mitte des Beckens durch kleine Handbewegungen beibehielt, tauchten zwei behelmte Orpos mit geschultertem Gewehr hinter der Anhöhe auf und stießen zwei magere Männer in gestreiften Anzügen vor sich her. Claasen, der tropfend
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