Die Wohlgesinnten
Sie sich vor!«, fuhr er fort. »Das hat ein einziger Mann veruntreuen können. Wenn wir hier fertig sind, richte ich eine Kommission in Auschwitz ein.«
Ich selbst war mit Lublin fast fertig. Ich machte einen kurzen Abschiedsrundgang. Bei Horn beglich ich die Rechnung für die Aktentasche und traf ihn immer noch ebenso niedergeschlagen und besorgt an wie beim ersten Mal, noch immer schlug er sich mit Verwaltungsschwierigkeiten, finanziellen Verlusten und widersprüchlichen Befehlen herum. Globocnik empfing mich wesentlich ruhiger als das erste Mal: Wir führten ein kurzes ernsthaftes Gespräch über die Arbeitslager, die Globocnik stärker ausbauen wollte. Zunächst gelte es, erklärte er mir, die letzten Gettos aufzulösen, damit im Generalgouvernement nicht ein einziger Jude außerhalb der unter SS-Aufsicht stehenden Lager bleibe; das sei, bekräftigte er, der unerschütterliche Wille des Reichsführers. Im gesamten GG blieben hundertdreißigtausend Juden, vor allem in Lublin, Radom und Galizien; dagegen seien Warschau und Krakau, von den Illegalen abgesehen, vollständig judenfrei. Das seien zwar noch viel zu viele, aber das Problem solle mit aller Entschlossenheit gelöst werden.
Ich hatte daran gedacht, nach Galizien zu fahren, um ein Arbeitslager wie das des unglücklichen Lexi zu inspizieren; aber meine Zeit war knapp bemessen, ich musste eine Auswahl treffen, und ich wusste, dass die Probleme, abgesehen von kleineren Unterschieden, die den örtlichen Bedingungen und den beteiligten Personen geschuldet waren, die gleichen sein würden. Daher wollte ich mich jetzt auf die Lager in Oberschlesien konzentrieren, dem »Ruhrgebiet des Ostens«:das KL Auschwitz und seine zahlreichen Neben- und Außenlager. Von Lublin führte der kürzeste Weg über Kielce und dann durch das Industrierevier von Kattowitz, eine flache, eintönige Landschaft, von Kiefern- und Birkengehölzen bestanden und von den hohen Fabrikschornsteinen und Hochöfen verschandelt, die in den Himmel aufragten und ihren beißenden, düsteren Rauch ausspien. Bereits dreißig Kilometer vor Auschwitz wurden unsere Papiere von Kontrollposten der SS sorgfältig überprüft. Dann kamen wir an die Weichsel, die breit und trübe war. In der Ferne war die weiße Kette der Beskiden erkennbar, bleich und im Sommerdunst zitternd, nicht so spektakulär wie der Kaukasus, aber von zarter Schönheit. Auch dort rauchten die Schlote, in der Ebene, am Fuß der Berge: Es war windstill, und der Rauch stieg kerzengerade empor, bevor er unter dem eigenen Gewicht zusammensank, sodass er den Himmel kaum trübte. Die Landstraße führte zum Bahnhof und zum Haus der Waffen-SS , wo wir Quartier nehmen sollten. Die Eingangshalle war fast leer, ich bekam ein einfaches sauberes Zimmer zugewiesen; nachdem ich mein Gepäck abgestellt hatte, wusch ich mich, zog mir eine andere Uniform an und ging hinaus, um mich auf der Kommandantur zu melden. Die Lagerstraße führte an der Soa entlang, einem Nebenfluss der Weichsel; halb hinter dichten Bäumen verborgen, grüner als der große Fluss, in den sie später mündete, floss sie am Fuße einer steilen grasbewachsenen Böschung in ruhigen Mäandern dahin; auf dem Wasser ließen sich hübsche Enten mit grünen Köpfen von der Strömung treiben, stoben dann unter Anspannung des ganzen Körpers auf; den Hals gestreckt, die Füße eingezogen, trieben sie die Körpermasse mit den Flügeln nach oben, um sich ein Stück weiter, in Ufernähe, wieder träge ins Wasser fallen zu lassen. Ein Wachposten versperrte den Eingang der Kasernenstraße; dann, hinter einem hölzernen Wachturm, begann die lange graueBetonmauer des Lagers, von Stacheldraht gekrönt, hinter der sich die roten Dächer der Steinbaracken abzeichneten. Die Kommandantur hatte das erste der drei Gebäude zwischen Straße und Mauer bezogen, einen wuchtigen Bau mit Stuckfassade und hoher Außentreppe, die von schmiedeeisernen Lampen gesäumt war. Ich wurde sogleich zum Lagerkommandanten Obersturmbannführer Höß vorgelassen. Wegen der ungeheuren Zahl von Menschen, die während seiner Amtszeit getötet wurden, und wegen der freimütigen und hellsichtigen Memoiren, die er während seines Prozesses im Gefängnis schrieb, hat er es nach dem Krieg zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Trotzdem war er ein vollkommen durchschnittlicher Offizier der IKL, fleißig, verbohrt und beschränkt, fantasie- und einfallslos, hatte aber in der Art, sich zu bewegen und zu sprechen, noch etwas von der
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