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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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etwas menschlichere Farbe zu bekommen, bevor ich hinunterging. Brandt musterte mich mit seiner eulenhaften Miene und gab mir wie immer vorsorglich einige Ratschläge: »Wie Sie sich sicherlich vorstellen können, ist der Reichsführer im Augenblick außerordentlich beschäftigt. Trotzdem möchte er Sie unbedingt sprechen, denn es handelt sich um einen Vorgang, den er vorantreiben möchte. Er fand Ihren Bericht ausgezeichnet, zu direkt vielleicht, aber schlüssig. Der Reichsführer wird Sie sicherlich bitten, ihm Vortrag zu halten. Fassen Sie sich kurz. Er hat wenig Zeit.« Dieses Mal empfing mich der Reichsführer fast schon herzlich: »Mein lieber Sturmbannführer Aue! Entschuldigen Sie, dass ich Sie die letzten Tage habe warten lassen.« Er winkte mit seiner kleinen weichen Hand mit den stark hervortretenden Adern in Richtung eines Sessels: »Nehmen Sie Platz!« Wie beim ersten Mal hatte Brandt ihm eine Akte vorgelegt, die er durchblätterte. »Sie haben also meinen guten alten Globus kennengelernt. Wie geht es ihm?« – »Gruppenführer Globocnik schien in hervorragender Verfassung zu sein, mein Reichsführer. Sehr begeistert.« – »Und was halten Sie von seinem Umgang mit den Erträgen der ›Aktion Reinhardt‹? Sie können offen sprechen.« Seine kleinen, kalten Augen glitzerten hinter seinem Kneifer. Ich erinnerte mich plötzlich an Globocniks erste Worte; sicherlich kannte er seinen Reichsführer besser als ich. Ich wählte meine Worte mit Bedacht: »Der Gruppenführer istein glühender Nationalsozialist, mein Reichsführer, daran kann es keinen Zweifel geben. Aber solche Reichtümer können in seiner Umgebung eine enorme Versuchung darstellen. Ich habe den Eindruck, dass der Gruppenführer in dieser Hinsicht etwas strenger sein könnte, er sollte seinen Untergebenen vielleicht nicht allzu sehr vertrauen.« – »In Ihrem Bericht ist viel von Korruption die Rede. Halten Sie das wirklich für ein Problem?« – »Davon bin ich überzeugt, mein Reichsführer. Wenn sie ein bestimmtes Maß übersteigt, beeinträchtigt sie die Arbeit der Lager und auch des Arbeitseinsatzes. Ein SS-Mann, der stiehlt, ist ein SS-Mann, den die Häftlinge kaufen können.« Himmler nahm seinen Kneifer ab, zog ein Taschentuch hervor und begann die Gläser zu putzen: »Fassen Sie Ihre Schlussfolgerungen für mich zusammen. In aller Kürze, bitte.« Ich holte einen Notizzettel aus meiner Aktentasche: »Im System der KL, so wie es gegenwärtig gehandhabt wird, mein Reichsführer, gibt es nach meinem Dafürhalten drei Hindernisse, die einer optimalen und rationellen Nutzung der verfügbaren Arbeitskräfte im Wege stehen. Das erste, wir haben gerade darüber gesprochen, ist die Korruption der SS-Männer in den Lagern. Da geht es nicht nur um Moral, das wirft auch auf zahlreichen Ebenen praktische Probleme auf. Doch diesbezüglich gibt es bereits eine Abhilfe: die Sonderkommission, die Sie eingesetzt haben und die ihre Arbeit intensivieren sollte. Zweites Hindernis, mangelnde Abstimmung in der Verwaltung, ein Problem, das die Bemühungen von Obergruppenführer Pohl noch nicht lösen konnten. Gestatten Sie mir, mein Reichsführer, Ihnen ein Beispiel aus meinem Bericht zu geben: Der Befehl von Brigadeführer Glücks vom 28. Dezember 1942 forderte alle medizinischen Leiter der KL auf, für eine bessere Verpflegung der Häftlinge zu sorgen, um die Sterblichkeit zu verringern. Nun unterstehen die Lagerküchen aber einer Abteilung des Amts D IV des WVHA; die Rationenwerden vom D IV 2 zentral in Abstimmung mit dem SS-Hauptamt festgesetzt. Weder die Ärzte in den Lagern noch das Amt D III haben hier ein Mitspracherecht. Dieser Teil des Befehls ist also einfach wirkungslos geblieben; die Rationen sind dieselben wie im letzten Jahr.« Ich machte eine Pause; Himmler, der mich freundlich anblickte, schüttelte nachdenklich den Kopf: »Trotzdem ist die Sterblichkeit zurückgegangen, wie mir scheint.« – »Gewiss, mein Reichsführer, aber aus anderen Gründen. Es gibt Fortschritte hinsichtlich Sorgfalt und Hygiene im Sanitätsbereich, der den Ärzten direkt untersteht. Die Quote könnte aber noch weiter gesenkt werden. Beim gegenwärtigen Stand der Dinge bedeutet, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, mein Reichsführer, jeder vorzeitige Tod eines Häftlings einen Nettoverlust für die Kriegsproduktion des Reiches.« – »Das weiß ich besser als Sie, Sturmbannführer«, zischte er mich wie ein ungehaltener Schulmeister an. »Fahren Sie fort!« –

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