Die Wohlgesinnten
»Jawohl, mein Reichsführer. Drittes Hindernis, die Mentalität der altgedienten höheren Offiziere der IKL. Damit möchte ich nichts gegen die unbestrittenen Fähigkeiten dieser Männer als SS-Offiziere und Nationalsozialisten sagen. Aber die meisten von ihnen, das ist eine Tatsache, sind in einer Zeit ausgebildet worden, als die Lager noch eine ganz andere Funktion hatten und unter dem Befehl des verstorbenen Obergruppenführer Eicke standen.« – »Haben Sie Eicke gekannt?«, unterbrach Himmler. »Nein, mein Reichsführer. Es war mir nicht vergönnt.« – »Schade. Er war ein großartiger Mann. Er fehlt uns sehr. Aber entschuldigen Sie, ich habe Sie unterbrochen. Fahren Sie fort.« – »Danke, mein Reichsführer. Ich wollte sagen, dass diese Offiziere daher vor allem die politische und polizeiliche Funktion der Lager im Auge haben, die damals im Vordergrund stand. Trotz ihrer Erfahrung auf diesem Gebiet waren viele von ihnen nicht in der Lage, sich den neuen wirtschaftlichen Aufgaben der Lager anzupassen. Das ist ein Problemder Einstellung und der Ausbildung: Kaum einer von ihnen hat kaufmännische Kenntnisse, daher lässt ihre Zusammenarbeit mit den Geschäftsleitungen der Unternehmen des WVHA erheblich zu wünschen übrig. Ich möchte betonen, dass es sich um ein Gesamtproblem, wenn ich so sagen darf: ein Generationsproblem, handelt, das nichts mit einzelnen Persönlichkeiten zu tun hat, selbst wenn ich einige als Beispiel anführe.« Himmler stützte mit den zusammengelegten Fingerspitzen beider Hände sein fliehendes Kinn ab. »Sehr schön, Sturmbannführer. Ihr Bericht geht als Umlauf ans WVHA, und ich denke, er wird meinem Freund Pohl Munition liefern. Doch um niemanden vor den Kopf zu stoßen, werden Sie zuvor ein paar Korrekturen vornehmen. Brandt wird Ihnen eine Auflistung zukommen lassen. Vor allem nennen Sie niemanden namentlich. Sie verstehen schon.« – »Selbstverständlich, mein Reichsführer.« – »Hingegen ermächtige ich Sie unter dem Siegel der Verschwiegenheit, ein nicht redigiertes Exemplar Ihres Berichtes an Dr. Mandelbrod zu schicken.« – »Zu Befehl, mein Reichsführer.« Himmler hustete, zögerte, holte ein Taschentuch heraus und hustete erneut, wobei er den Mund bedeckte. »Entschuldigung«, sagte er, während er das Taschentuch wieder wegsteckte. »Ich habe eine neue Aufgabe für Sie, Sturmbannführer. Die von Ihnen angesprochene Frage der Verpflegung in den Lagern ist ein ständig wiederkehrendes Problem. Wie mir scheint, haben Sie inzwischen einige Kenntnisse auf diesem Gebiet gesammelt.« – »Mein Reichsführer …« Er machte eine Handbewegung: »Ja doch, ja. Ich erinnere mich an Ihren Bericht aus Stalingrad. Ich wünsche Folgendes: Während sich das Amt D III mit allen medizinischen und sanitären Problemen befasst, haben wir, wie Sie selbst dargelegt haben, keine zentrale Instanz, die für die Verpflegung der Häftlinge zuständig ist. Deshalb habe ich beschlossen, eine abteilungsübergreifende Arbeitsgruppe zur Lösung dieses Problemseinzusetzen. Sie werden die Koordination übernehmen. Dazu beziehen Sie alle zuständigen Abteilungen der IKL ein; Pohl wird auch einen Vertreter der SS-Unternehmen entsenden, der deren Standpunkt erläutern wird. Außerdem wünsche ich, dass das RSHA ein Wörtchen mitzureden hat. Schließlich möchte ich, dass Sie auch die anderen betroffenen Ministerien zu Rate ziehen, vor allem das von Speer, der uns ständig mit den Klagen der Privatunternehmen in den Ohren liegt. Pohl wird Ihnen die erforderlichen Fachleute zur Verfügung stellen. Ich wünsche eine einvernehmliche Lösung, Sturmbannführer. Wenn Sie konkrete Vorschläge ausgearbeitet haben, bekomme ich sie als Vorlage; sind sie vernünftig und realistisch, werden sie übernommen. Brandt wird Sie mit allem Nötigen versorgen. Noch Fragen?« Ich richtete mich auf: »Mein Reichsführer, Ihr Vertrauen ehrt mich, und ich danke Ihnen. Allerdings möchte ich in einem Punkt sichergehen.« – »Und der wäre?« – »Dass die Produktionssteigerung das Hauptziel bleibt.« Himmler hatte sich in seinem Sessel zurückgelehnt, die Hände auf den Armlehnen; sein Gesicht hatte wieder diesen hintergründigen Ausdruck angenommen: »Insoweit es nicht die anderen Interessen der SS verletzt und die laufenden Programme nicht beeinträchtigt, ist die Antwort Ja.« Er hielt einen Augenblick inne. »Die Anliegen der anderen Ministerien sind wichtig, aber, wissen Sie, es gibt Zwänge, die wichtiger sind.
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