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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Vorstandsmitglied der Deutschen Wirtschaftsbetriebe vor, der uns über die wirtschaftlichen Aspekte und die Probleme der Firmen bei der Beschäftigung von Häftlingen informieren könnte; schließlich stellte er für mich Professor Weinrowski ab, seinen Ernährungsinspekteur, einen Mann mit schon weißem Haar, wässrigen Augen und einem tiefen Grübchen im Kinn, in dem, unerreichbar für den Rasierapparat, struppige Härchen wuchsen. Bereits seit einem Jahr bemühte sich Weinrowski erfolglos, die Verpflegung der Häftlinge zu verbessern; doch er hatte zur Genüge erfahren, wie schwierig das war, deshalb wollte Pohl, dass er bei unserer Arbeit dabei war. Nach einem Schriftverkehr zwischen den beteiligten Ämtern beraumte ich eine erste Sitzung für eine Lagebestimmung an. Auf meine Bitte hin hatte Professor Weinrowski mit seinem Assistenten, Hauptsturmführer Dr. Isenbeck, ein kleines Memorandum aufgesetzt, das an die Teilnehmer verteilt wurde; das fasste er jetzt noch einmal mündlich für uns zusammen. Es war ein wunderschöner Septembertag, Altweibersommer; gleißend lag die Sonne auf den Bäumen des Tiergartens und warf große Lichtflächen in unseren Konferenzsaal, ließ das Haar des Professors wie eine Gloriole leuchten. Die Ernährungslage der Häftlinge sei, so erklärte uns Weinrowski in seiner abgehackten und belehrenden Sprechweise, ziemlich unübersichtlich. Normen und Etat seien zwar in zentralen Dienstanweisungen festgeschrieben, doch die Lager deckten sich natürlich in der jeweiligen Region ein, was gelegentlich erhebliche Schwankungen zur Folge habe. Als typisches Beispiel nannte er das KL Auschwitz, wo ein Häftling, der zu schwerer Arbeit eingeteilt sei, pro Tag eigentlich Anspruch auf 350 Gramm Brot, einen halben Liter Ersatztee und einenLiter Kartoffel- oder Rübensuppe hatte, die viermal in der Woche durch 20 Gramm Fleisch zu ergänzen seien. Die Häftlinge, die mit leichter Arbeit beschäftigt oder auf dem Krankenrevier seien, würden natürlich weniger erhalten; ferner gebe es die verschiedensten Arten von Sonderrationen, etwa für Kinder im Familienlager oder für Häftlinge, die für medizinische Versuche ausgewählt worden seien. Grob zusammengefasst, erhalte ein Häftling bei Schwerarbeit offiziell ungefähr 2150 Kalorien täglich, bei leichter Arbeit 1700. Einerlei, ob diese Normen überhaupt eingehalten würden, sie erwiesen sich ohnehin als ungenügend: Schon bei Untätigkeit brauche ein Mann, je nach Größe und Gewicht und abhängig von der Umgebung, wenigstens 2100 Kalorien täglich, um gesund zu bleiben; bei einem Mann, der arbeite, seien es 3000. Die Häftlinge seien daher zum Siechtum verurteilt, zumal die Ausgewogenheit zwischen Fetten, Kohlehydraten und Eiweißen gröblich missachtet werde: bestenfalls 6,4 Prozent der Rationen bestünden aus Eiweiß, während es mindestens 10 Prozent, wenn nicht gar 15 sein müssten. Nach Beendigung seines Referats setzte sich Weinrowski mit zufriedener Miene, und ich verlas auszugsweise eine Reihe von Befehlen des Reichsführers an Pohl, die Verbesserung der Lagerverpflegung betreffend, die ich von meinem neuen Assistenten Asbach hatte analysieren lassen. Der erste dieser Befehle, vom März 1942, blieb ziemlich vage: Einige Tage nach der Eingliederung der IKL in den WVHA verlangte der Reichsführer von Pohl lediglich, er solle schrittweise eine Kost einführen, die wie die der römischen Soldaten oder der ägyptischen Sklaven alle Vitamine enthalte und trotzdem einfach und kostensparend bleibe. Die folgenden Briefe präzisierten das Ganze etwas: mehr Vitamine, große Mengen von rohem Gemüse und Zwiebeln, Karotten, Kohlrabi, weiße Rüben und was es sonst an derartigem Gemüse gibt … für den Winter eine genügende Menge … wir werden damit denGesundheitszustand wesentlich heben. »Ich kenne diese Befehle«, erklärte Professor Weinrowski, als ich fertig war, »aber nach meiner Meinung fehlt das Entscheidende.« Ein arbeitender Mensch brauche vor allem Kalorien und Eiweiß; Vitamine und Spurenelemente seien im Prinzip nebensächlich. Hauptsturmführer Dr. Alicke, der das D III vertrat, stimmte dem zu; dagegen meldete der junge Isenbeck Zweifel an: Die klassische Ernährung, so schien er zu meinen, unterschätze die Bedeutung der Vitamine, und er führte als Beleg einen britischen Artikel aus einer wissenschaftlichen Zeitschrift des Jahres 1938 an, als sei damit alles entschieden, was Weinrowski aber offenbar wenig beeindruckte. Nun ergriff

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