Die Wohlgesinnten
Berücksichtigen Sie das ebenfalls. Wenn Sie Zweifel haben, wenden Sie sich an Pohl. Er weiß, was ich will. Guten Tag, Sturmbannführer.«
Als ich Himmlers Büro verließ, hatte ich, wie ich gestehen muss, das Gefühl, in meinen Stiefeln zu schwimmen. Endlich hatte man mir Verantwortung übertragen, echte Verantwortung! Sie hatten also meinen wahren Wert erkannt. Und darüberhinaus war es noch eine positive Aufgabe, eine Möglichkeit, die Dinge in die richtige Richtung voranzutreiben, eine Chance, zu den Kriegsanstrengungen und dem Sieg Deutschlands beizutragen – und das nicht durch Mord und Vernichtung. Noch vor dem Gespräch mit Rudolf Brandt erging ich mich wie ein Jüngling in ruhmvollen und lächerlichen Fantasien: Von meinen hieb- und stichfesten Argumenten überzeugt, versammelten sich die Abteilungen geschlossen hinter mir; die Unfähigen und Kriminellen wurden entmachtet und in ihre Löcher zurückgeschickt; in einigen Monaten waren bemerkenswerte Fortschritte erzielt, die Häftlinge kamen wieder zu Kräften, wurden gesund, viele von ihnen, in ihrer Seele von der Kraft eines von allen Fesseln befreiten Nationalsozialismus unwiderstehlich mitgerissen, begannen mit Freude zu arbeiten, um Deutschland in seinem Kampf zu helfen; die Produktion stieg von Monat zu Monat; ich bekam einen verantwortungsvolleren Posten, echter Einfluss ermöglichte mir, die Verhältnisse im Sinne der wahren Weltanschauung zu verbessern, und der Reichsführer selbst hörte auf meine Ratschläge, die Ratschläge eines seiner besten Nationalsozialisten. Grotesk, pubertär, ich weiß es wohl, aber berauschend. Natürlich sollte nichts so geschehen. Anfangs aber barst ich wirklich fast vor Begeisterung. Sogar Thomas schien beeindruckt: »Du siehst, was dabei herauskommt, wenn du meinen Ratschlägen folgst, statt nur nach deinem Kopf zu gehen«, meinte er mit spöttischem Lächeln. Doch bei Licht besehen, hatte ich nicht anders gehandelt als bei unserem gemeinsamen Auftrag im Jahr 1939: Wieder hatte ich die reine Wahrheit geschrieben, ohne mir viel Gedanken über die Konsequenzen zu machen; aber diesmal hatte ich einfach mehr Glück gehabt, und die Wahrheit entsprach dem, was meine Adressaten hören wollten.
Eifrig machte ich mich an die Arbeit. Da im SS-Haus nicht genügend Platz war, ließ Brandt mir einen Bürokomplex imobersten Stockwerk der Zentralabteilung des Reichsministeriums des Innern am Königsplatz im Spreebogen zuteilen; von meinen Fenstern aus hatte ich den Reichstag zwar im Rücken, sah aber auf der einen Seite, hinter der Krolloper, die grüne, heitere weite Fläche des Tiergartens und jenseits des Flusses und der Moltkebrücke die Zoll- und Güterschuppen des Lehrter Bahnhofs mit seinem unüberschaubaren Gewirr von Rangiergleisen, auf denen fortwährend ein gemächlicher Betrieb herrschte, schaukelnd, einschläfernd, ein endloses kindliches Vergnügen. Noch angenehmer, der Reichsführer kam nie dorthin: Ich konnte in meinem Dienstzimmer friedlich rauchen. Fräulein Praxa, die mir alles in allem gar nicht so missfiel und die wenigstens ans Telefon gehen und Anrufe entgegennehmen konnte, zog mit mir um; es gelang mir auch, Piontek zu behalten. Brandt hatte mir einen weiteren Hauptscharführer zugeteilt, Walser, der sich um die Ablage kümmerte, dazu zwei Schreibkräfte, und mich ermächtigt, einen Assistenten im Rang eines Untersturmführers mit der Verwaltungsarbeit zu betrauen; ich ließ mir von Thomas einen gewissen Asbach empfehlen, einen jungen Mann, der nach Jurastudium und Lehrgang an der Junkerschule in Bad Tölz gerade bei der Geheimen Staatspolizei eingetreten war.
Die britischen Flugzeuge waren mehrere Nächte hintereinander wiedergekommen, doch jedes Mal in geringerer Anzahl: Die Wilde Sau , unsere neue Taktik, die feindlichen Maschinen nachts taghell zu beleuchten, ermöglichte es unseren Jägern, von oben auf sie herabzustürzen und große Verheerungen anzurichten; am 3. September wurden die Luftangriffe ganz eingestellt: Wir hatten sie entmutigt. Ich suchte Pohl in seinem Amtssitz in Lichterfelde auf, um die Zusammensetzung der Arbeitsgruppe mit ihm zu besprechen. Pohl schien sehr zufrieden zu sein, dass das Problem endlich systematisch in Angriff genommen wurde; er sei es leid, erklärteer mir ganz unverhohlen, seinen Kommandanten Befehle zu übermitteln, die wirkungslos blieben. Wir einigten uns darauf, dass die Amtsgruppe D drei Vertreter entsandte, einen pro Amt; Pohl schlug mir auch ein
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