Die Wohlgesinnten
doch sicherlich, bei Höhn.« – »Natürlich.« – »Gut. Nun, wenn meine Theorien zutreffen, werden wir, sobald wir in das Kerngebiet der Ukraine gelangen, auf eine wohlhabende Landbevölkerung stoßen.« – »Wieso?«, fragte Thomas. »Dank Stalins Politik. In etwas mehr als einem Jahrzehnt sind fünfundzwanzig Millionen Familienhöfe in zweihundertfünfzigtausend landwirtschaftliche Großbetriebe umgewandelt worden.Nach meinem Dafürhalten waren die ›Entkulakisierung‹ und vor allem die vorsätzlich inszenierte Hungersnot von 1932 gezielte Versuche, das Gleichgewicht wiederherzustellen – das Gleichgewicht zwischen den Anbauflächen, die für die Nahrungsmittelerzeugung zur Verfügung stehen, und der Bevölkerung, die von diesen Nahrungsmitteln lebt. Ich habe Grund zu der Annahme, dass es ihnen gelungen ist.« – »Und wenn sie gescheitert sind?« – »Dann ist es an uns, Erfolg zu haben.« Weber machte ihm ein Zeichen, und er trank seinen Kaffee aus. »Nun, meine Herren«, sagte er, erhob sich und schlug die Hacken zusammen, »wir danken Ihnen für den angenehmen Abend. Was schulden wir Ihnen?« – »Ich bitte Sie«, sagte Thomas, sich seinerseits erhebend. »Sie waren unsere Gäste.« – »Gut, vorausgesetzt, Sie geben uns Gelegenheit zur Revanche.« – »Mit Vergnügen. In Kiew oder in Moskau?« Allgemeines Gelächter und Händeschütteln. »Grüßen Sie Dr. Rasch von mir«, sagte Oberländer. »In Königsberg haben wir uns oft gesehen. Ich hoffe, er findet Zeit, an einem unserer Abende teilzunehmen.« Die beiden Männer gingen hinaus, und Thomas setzte sich wieder: »Möchtest du einen Kognak? Die Einsatzgruppe zahlt.« – »Sehr gern.« Thomas bestellte. »Hör mal, du sprichst aber gut Ukrainisch«, sagte ich. »Nun, in Polen habe ich ein wenig Polnisch gelernt, das ist fast das Gleiche.« Der Kognak kam, und wir stießen an. »Was hat er eigentlich gemeint, als wir über das Pogrom sprachen?« Thomas schwieg eine Weile. Schließlich entschloss er sich zu antworten: »Das bleibt aber unter uns. Du weißt, dass wir in Polen ziemliche Probleme mit der Wehrmacht gehabt haben. Vor allem was unsere Sonderaktionen anging. Die Herren hatten moralische Bedenken. Sie glaubten, sie könnten hobeln, ohne dass Späne fallen. Dieses Mal haben wir Vorkehrungen getroffen, um Missverständnisse zu vermeiden. Der Chef und Schellenberg haben exakte Vereinbarungen mit der Wehrmacht ausgehandelt.Ist euch das in Pretzsch erklärt worden?« Ich nickte, woraufhin er fortfuhr: »Trotzdem wollen wir vermeiden, dass sie wieder anderen Sinnes werden. Daher haben die Pogrome einen großen Vorteil: Sie zeigen der Wehrmacht, dass in der Etappe das Chaos ausbricht, wenn der SS und der Sicherheitspolizei die Hände gebunden sind. Außerdem: Wenn es eines gibt, was der Soldat noch mehr verabscheut als Unehrenhaftigkeit, wie sie es nennen, dann ist das Unordnung. Lass das Ganze noch drei Tage andauern, und sie flehen uns an, dass wir unsere Arbeit tun: ordentlich, diskret, effizient, unauffällig.« – »Und Oberländer ahnt das alles?« – »Ach, den stört das überhaupt nicht. Der will nur sichergehen, dass man ihm bei seinen kleinen politischen Intrigen nicht in die Quere kommt. Aber«, fügte er lächelnd hinzu, »zu gegebener Zeit werden wir auch ihm auf die Finger sehen.«
Irgendwie ein merkwürdiger Bursche, dachte ich beim Schlafengehen. Gelegentlich verletzte mich sein Zynismus, auch wenn ich ihn häufig erfrischend fand. Gleichzeitig wusste ich, dass ich sein Verhalten nicht nach seinen Worten beurteilen durfte. Ich hatte uneingeschränktes Vertrauen zu ihm: Im SD hatte er mir immer loyal geholfen, ohne dass ich ihn darum gebeten hatte, und selbst dann, wenn ich ihm in erkennbarer Weise nicht von Nutzen sein konnte. Einmal hatte ich ihn ganz offen danach gefragt, und er hatte schallend gelacht: »Was soll ich dir sagen? Dass du Teil eines langfristigen finsteren Plans bist? Ich kann dich gut leiden, das ist alles.« Diese Worte erfüllten mich mit tiefer Freude, und er beeilte sich hinzuzufügen: »Auf jeden Fall weiß ich, dass du, gewitzt, wie du bist, nie zur Gefahr für mich werden kannst. Das ist schon was.« Er hatte maßgeblich auf meinen Eintritt in den SD hingewirkt, und übrigens hatte ich ihn auch auf diese Weise kennengelernt. Das geschah zwar unter recht seltsamen Umständen, aber man kann es sich nicht immeraussuchen. Seit einigen Jahren hatte ich zum Netzwerk der Vertrauensleute des SD gehört, die
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