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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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konnte nicht einmal sagen, welche sich mir am Vorabend angeboten hatte – tauchte neben mir auf. »Entschuldigen Sie bitte, meine Herren«, sagte sie mit einem Lächeln. Ich entschuldigte mich meinerseits und folgte ihr durch die Menge. Mandelbrod und Leland sprachen mit Speer und Rohland. Ich begrüßte sie und beglückwünschte Speer zu seiner Rede; er machte ein bekümmertes Gesicht: »Offenbar fand sie nicht bei allen Beifall.« – »Das macht nichts«, erwiderte Leland. »Wenn Sie den Reichsführer auf Ihrer Seite haben, kann Ihnen keiner dieser betrunkenen Idioten etwas anhaben.« Ich war erstaunt: Noch nie hatte ich Herrn Leland mit solch brutaler Offenheit reden hören. Speer wiegte den Kopf. »Versuchen Sie, regelmäßig mit dem Reichsführer Kontakt zu halten«, flüsterte Mandelbrod. »Lassen Sie diesen neuen Elan nicht versiegen. Bei geringfügigeren Fragen, mit denen Sie den Reichsführer nicht behelligen wollen, brauchen Sie sich nur mit meinem jungen Freund hier in Verbindung zu setzen. Ich bürge für seine Zuverlässigkeit.« Speer warf mir einen zerstreutenBlick zu: »Ich habe bereits einen Verbindungsoffizier im Ministerium.« – »Gewiss«, sagte Mandelbrod. »Aber Sturmbannführer Aue hat sicherlich einen direkten Draht zum Reichsführer. Scheuen Sie sich nicht, ihn in Anspruch zu nehmen.« – »Gut, gut«, sagte Speer. Rohland hatte sich an Leland gewandt: »Wir sind uns also in Bezug auf Mannheim einig …« Durch einen kurzen Druck am Ellenbogen gab mir Mandelbrods Assistentin zu verstehen, dass man mich nicht mehr brauchte. Ich grüßte und zog mich unauffällig ans Buffet zurück. Die junge Frau war mir gefolgt und ließ sich ein Glas Tee einschenken, während ich am Horsd’œuvre knabberte. »Ich glaube, Dr. Mandelbrod ist sehr zufrieden mit Ihnen«, sagte sie mit ihrer schönen ausdruckslosen Stimme. »Ich weiß zwar nicht, warum, aber wenn Sie das sagen, muss ich Ihnen wohl glauben. Arbeiten Sie schon lange für ihn?« – »Seit mehreren Jahren.« – »Und vorher?« – »Ich habe in Frankfurt meinen Doktor in Latein und Deutsch gemacht.« Ich zog die Augenbrauen hoch: »Das hätte ich nicht gedacht. Ist es nicht sehr schwierig, die ganze Zeit für Dr. Mandelbrod zu arbeiten? Er kommt mir ziemlich anspruchsvoll vor.« – »Wir dienen dort, wo wir müssen«, antwortete sie, ohne zu zögern. »Ich fühle mich außerordentlich geehrt durch das Vertrauen, das mir Dr. Mandelbrod entgegenbringt. Durch Männer wie ihn und Herrn Leland wird Deutschland gerettet werden.« Ich musterte ihr glattes ovales Gesicht, das kaum geschminkt war. Sie war wohl außerordentlich schön, aber es gab an dieser vollkommen abstrakten Schönheit keine Einzelheit, keine Besonderheit, an der der Blick hätte Halt finden können. »Darf ich Ihnen eine Frage stellen?«, sagte ich. »Gewiss doch.« – »Der Gang im Waggon war schlecht beleuchtet. Haben Sie an meine Tür geklopft?« Sie stieß ein kleines perlendes Lachen aus: »Der Gang ist gar nicht so schlecht beleuchtet. Aber die Antwort lautet Nein: Es war meine Kollegin Hilde. Warum?Wäre ich Ihnen lieber gewesen?« – »Nein, nur so«, antwortete ich tumb. »Wenn sich die Gelegenheit ergibt«, sagte sie und blickte mir in die Augen, »wird es mir ein Vergnügen sein. Ich hoffe, Sie sind dann weniger müde.« Ich wurde rot: »Wie heißen Sie? Damit ich es weiß.« Sie reichte mir ihre kleine Hand mit den perlmuttglänzenden Nägeln; ihre Handfläche war trocken und weich und der Händedruck fest wie der eines Mannes. »Hedwig. Einen schönen Abend noch, Sturmbannführer.«
    Der Reichsführer, umgeben von einer stummen Offizierswolke und mit Rudolf Brandt an seiner Seite, erschien gegen drei Uhr nachmittags, kurz vor unserer Rückkehr zum Schloss. Brandt bemerkte mich und bedeutete mir mit einem Kopfnicken, näher zu treten; er trug bereits die neuen Rangabzeichen, ließ mir aber keine Zeit, ihn zu beglückwünschen: »Nach der Rede des Reichsführers brechen wir nach Krakau auf. Sie kommen mit.« – »Jawohl, Standartenführer.« Himmler hatte sich in die erste Reihe, neben Bormann, gesetzt. Zuerst wurde uns eine Rede von Dönitz geboten, der die zeitweilige Aussetzung des U-Boot-Krieges rechtfertigte und hoffte, ihn bald wieder aufnehmen zu können; dann von Milch, der hoffte, die neue Taktik der Luftwaffe würde den verbrecherischen Luftangriffen gegen unsere Städte bald ein Ende bereiten, und von Schepmann, dem neuen Stabschef der SA, der nichts

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