Die Wohlgesinnten
aufnimmt, informieren Sie Brandt, und reagieren Sie wohlwollend.«
Ich hielt mich haargenau an die Anweisungen des Reichsführers. Ich weiß nicht, was Pohl aus unserem Projekt machte,das ich doch so liebevoll entwickelt hatte: Jedenfalls schickte er einige Tage später, gegen Ende des Monats, einen neuen Befehl an alle KL, in dem er sie anwies, die Mortalität und Morbidität um 10 Prozent zu senken, ohne jedoch irgendeine konkrete Anordnung hinzuzufügen; meines Wissens sind Isenbecks Rationen nie ausgeteilt worden. Trotzdem erhielt ich einen sehr schmeichelhaften Brief von Speer, der die Übernahme des Projekts begrüßte: Es sei ein konkreter Beweis unserer neuen, vor kurzem ins Leben gerufenen Zusammenarbeit . Er endete mit den Worten: Ich hoffe, bald Gelegenheit zu haben, diese Probleme persönlich mit Ihnen zu besprechen. Ihr Speer. Diesen Brief leitete ich an Brandt weiter. Anfang November bekam ich einen zweiten: Der Gauleiter der Westmark hatte Speer in einem Schreiben aufgefordert, fünfhundert Juden, die einer lothringischen Rüstungsfabrik von der SS zur Verfügung gestellt worden waren, augenblicklich zurückzunehmen: Dank meiner Bemühungen ist Lothringen judenfrei und wird es bleiben , schrieb der Gauleiter. Speer bat mich, den Brief der dafür zuständigen Stelle zu übergeben, damit sie sich darum kümmere. Ich wandte mich an Brandt; einige Tage darauf schickte er mir eine Hausmitteilung, in der er mich anwies, dem Gauleiter im Namen des Reichsführers zu antworten und sein Gesuch abzulehnen. Tonfall: schroff , schrieb Brandt. Ich kam seiner Aufforderung mit Vergnügen nach:
Werter Parteigenosse Bürckel!
Ihr Gesuch ist unangebracht und kann nicht genehmigt werden. In dieser so schweren Stunde für Deutschland ist sich der Reichsführer der Notwendigkeit bewußt, die Arbeitskraft der Feinde unseres Volkes in höchstem Maße zu nutzen. Die Entscheidung über den Einsatz der Arbeiter ist in Absprache mit dem RMfRuK, der einzigen für diese Frage zuständigen Instanz, getroffen worden. Dadas gegenwärtig gültige Verbot der Beschäftigung von jüdischen Häftlingen nur das Altreich und Österreich betrifft, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Ihr Gesuch vor allem dem Wunsch entspringt, Ihr Mitspracherecht bei der Gesamtregelung der Judenfrage geltend zu machen.
Heil Hitler! Ihr usw.
Ich schickte eine Kopie an Speer, der mir danken ließ. Nach und nach wiederholte sich das: In Speers Auftrag erreichten mich solche ärgerlichen Anfragen und Gesuche, und ich beantwortete sie im Namen des Reichsführers; kompliziertere Fälle unterbreitete ich dem SD, wobei ich, um die Vorgänge zu beschleunigen, eher meine persönlichen Beziehungen spielen ließ als den Dienstweg einzuhalten. So sah ich Ohlendorf wieder, der mich zum Abendessen einlud und sich bei dieser Gelegenheit bitter über das von Speer eingeführte Selbstverwaltungssystem der Industrie beklagte, das er für eine bloße Usurpation staatlicher Macht durch Kapitalisten hielt, die überhaupt keine Verantwortung gegenüber der Volksgemeinschaft hätten. Wenn der Reichsführer es billige, liege das daran, so Ohlendorf, dass dieser nichts von wirtschaftlichen Fragen verstehe und im Übrigen unter dem Einfluss von Pohl stehe, einem Kapitalisten reinsten Wassers, der von dem Wunsch besessen sei, sein SS-Industrieimperium auszudehnen. Um ehrlich zu sein, auch ich verstand nicht viel von wirtschaftlichen Fragen und von den Argumenten, die Ohlendorf so leidenschaftlich vortrug. Aber es war wie immer ein Vergnügen, ihm einfach zuzuhören: Seine Offenheit und seine intellektuelle Ehrlichkeit waren erfrischend wie ein Glas kaltes Wasser, und er unterstrich völlig zu Recht, dass der Krieg zu zahlreichen Verwerfungen geführt habe, die eine gründliche Reform der staatlichen Strukturen nach dem Krieg erforderlich machten.
Ich begann wieder Geschmack am Leben außerhalb der Arbeit zu finden: Vielleicht waren es die günstigen Auswirkungen des Sports, vielleicht etwas anderes, ich weiß es nicht. Eines Tages wurde mir klar, dass Frau Gutknecht mir schon seit langer Zeit unerträglich geworden war; am nächsten Tag machte ich mich auf die Suche nach einer anderen Wohnung. Das war nicht ganz leicht, aber schließlich fand ich mit Thomas’ Hilfe etwas Passendes: eine kleine möblierte Junggesellenwohnung im obersten Stockwerk eines kürzlich errichteten Gebäudes. Sie gehörte einem Hauptsturmführer, der gerade geheiratet hatte und in Norwegen
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