Die Wohlgesinnten
Bolschewisten, in dieser Hinsicht ganz und gar nicht egalitär, den höheren Offizieren zubilligten. »Meinen Mann hat der Verlust seines Bruders sehr getroffen«, sagte Margret Speer nachdenklich. »Er zeigt es nicht, aber ich weiß es. Er hat unseren Jüngsten nach ihm benannt.«
Nach und nach wurde ich den anderen Gästen vorgestellt:Industriellen, höheren Wehrmachts- oder Luftwaffenoffizieren, einem Kollegen Speers, hohen Regierungsbeamten. Ich war der einzige SS-Mann und auch der Rangniedrigste unter den Anwesenden; doch niemand schien das zu beachten, außerdem stellte Herr Leland mich als »Dr. Aue« vor, wobei er manchmal hinzufügte, ich hätte »eine wichtige Funktion beim Reichsführer SS«; so wurde ich sehr herzlich aufgenommen, und meine Nervosität, die anfangs recht groß gewesen war, legte sich nach und nach. Gegen Mittag wurden belegte Brote, Leberpastete und Bier gereicht. »Ein leichter Imbiss«, erklärte Leland, »damit Sie nicht zu müde werden.« Anschließend begann die Jagd; Kaffee wurde ausgeschenkt, dann erhielt jeder eine Jagdtasche, Schweizer Schokolade und ein Fläschchen Weinbrand. Es hatte aufgehört zu regnen, ein schwacher Lichtschimmer schien durchs Grau brechen zu wollen; ein General, der sich auszukennen schien, meinte, es seien ideale Wetterverhältnisse. Die Jagd sollte auf Auerhähne gehen, offenbar ein höchst seltenes Vergnügen in Deutschland. »Dieses Haus ist nach dem Krieg von einem Juden gekauft worden«, erklärte Leland seinen Gästen. »Er wollte sich als großer Herr aufspielen und hat Auerwild aus Schweden kommen lassen. Der Wald war dazu gut geeignet, und der heutige Besitzer hat die Bejagung stark eingeschränkt.« Ich hatte von der Jagd keine Ahnung und nicht die Absicht, daran etwas zu ändern; aus Höflichkeit hatte ich mich jedoch dazu entschlossen, die Jäger zu begleiten, statt meiner eigenen Wege zu gehen. Leland rief uns auf der Freitreppe zusammen, und die Diener gaben Gewehre und Munition aus und wiesen uns Hunde zu. Da Auerhähne allein oder zu zweit gejagt werden, wurden wir in kleinen Gruppen aufgestellt; um Unfälle zu vermeiden, bekam jede einen Waldabschnitt zugeteilt, von dem sie sich nicht entfernen durfte; außerdem brachen wir gestaffelt auf. Der jagdbesessene General ging als Erster, allein mit einem Hund, nach ihm einige männliche Zweiergruppen.Zu meiner Überraschung hatte sich Margret Speer zu uns gesellt und ein Gewehr genommen; sie machte sich mit Hettlage, dem Kollegen ihres Mannes, auf den Weg. Leland wandte sich an mich: »Max, würdest du den Herrn Minister begleiten? Dort entlang bitte. Ich gehe mit Herrn Ströhlein.« Ich breitete die Hände aus: »Wie Sie möchten.« Speer, das Gewehr schon unter dem Arm, lächelte mir zu: »Gute Idee! Kommen Sie.« Wir gingen durch den Park in Richtung Wald. Speer trug eine Trachtenjoppe aus Leder mit abgerundeten Aufschlägen und einen Hut; auch ich hatte mir eine Kopfbedeckung ausgeliehen. Am Waldrand lud Speer seine Waffe, eine Doppelflinte. Ich behielt meine ungeladen über der Schulter. Der Hund, den man uns anvertraut hatte, stand mit heraushängender Zunge gespannt am Waldrand und wedelte mit dem Schwanz. »Haben Sie schon mal Auerhähne gejagt?«, fragte mich Speer. »Noch nie, Herr Minister. Um ehrlich zu sein, ich jage nicht. Wenn es Sie nicht stört, werde ich Sie einfach begleiten.« Er blickte mich erstaunt an: »Wie Sie möchten.« Er zeigte auf den Wald: »Wenn ich richtig verstanden habe, müssen wir in etwa einem Kilometer über einen Bach. Der Teil jenseits davon bis zum Waldrand ist für uns vorgesehen. Herr Leland wird auf dieser Seite bleiben.« Er drang ins Unterholz ein. Es war ziemlich dicht, wir mussten einigen Büschen ausweichen und konnten nicht geradeaus gehen; Wassertropfen rollten von den Blättern und zerplatzten auf unseren Hüten oder Händen; das durchweichte Laub am Boden verströmte einen starken Erd- und Humusgeruch, der an sich sehr angenehm war, kräftig und belebend, mir allerdings deprimierende Erinnerungen ins Gedächtnis rief. Bitterkeit stieg in mir auf: Das haben sie also aus dir gemacht, sagte ich mir, einen Mann, der keinen Wald sehen kann, ohne an ein Massengrab zu denken. Ein toter Zweig knackte unter meinem Stiefel. »Verwunderlich, dass Sie die Jagd nicht mögen«, meinte Speer. Ohne zu überlegen,antwortete ich: »Ich töte nicht gern, Herr Minister.« Er warf mir einen merkwürdigen Blick zu, und ich fügte erklärend hinzu: »Manchmal ist
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