Die Wohlgesinnten
von unserer Fechtstunde und mussten nun, ohne gegessen zu haben, in den Luftschutzkeller; der Fliegeralarm dauerte zwei Stunden, doch wir ließen uns Wein bringen und vertrieben uns die Zeit mit Scherzen. Der Angriff hatte in der Innenstadt ernsthafte Schäden angerichtet; die Engländer hatten mehr als vierhundert Maschinen geschickt: Sie hatten sich entschlossen, unserer neuen Taktik zu trotzen. Das trug sich am Donnerstagabend zu; am Samstagvormittag ließ ich mich von Piontek in Richtung Prenzlau fahren, bis zu dem von Mandelbrod genannten Dorf. Das Haus lag einige Kilometer von ihm entfernt, am Ende einer langen, von alten Eichen gesäumten Allee, die aber schon erhebliche Lücken aufwies, die Folge von Krankheiten oder Gewittern; es war ein altes Herrenhaus, das dieser Direktor gekauft hatte, angrenzend an einenMischwald, der von Kiefern, Buchen und Ahornbäumen beherrscht wurde, und umgeben von einem schönen, großzügig angelegten Park; in der Ferne sah man weite Äcker, die jetzt leer und schlammig waren. Es hatte auf der ganzen Fahrt geregnet, schließlich aber hatte sich der Himmel, von einem schneidenden Nordwind gepeitscht, wieder aufgehellt. Auf dem Kies vor der Freitreppe standen mehrere Limousinen Seite an Seite aufgereiht; ein livrierter Chauffeur wusch den Schmutz von den Stoßstangen. Auf den Stufen wurde ich von Herrn Leland begrüßt; er sah an diesem Tag trotz seiner braunen Strickjacke sehr militärisch aus. Der Besitzer sei nicht da, erklärte er mir, aber das Haus sei ihnen zur Verfügung gestellt worden; Mandelbrod werde erst am Abend kommen, nach der Jagd. Auf seinen Rat hin schickte ich Piontek nach Berlin zurück: die Gäste würden gemeinsam zurückfahren, da werde sich sicherlich in einem der Autos ein Platz für mich finden. Ein Dienstmädchen in Schwarz mit weißer Spitzenschürze zeigte mir mein Zimmer. Im Kamin knisterte ein Feuer; draußen hatte wieder ein leichter Regen eingesetzt. Wie in der Einladung erbeten, trug ich keine Uniform, sondern ländliche Kleidung – Knickerbocker, Stiefel und eine wasserdichte kragenlose Trachtenjoppe mit Hornknöpfen; für den Abend hatte ich einen Anzug mitgebracht, den ich entfaltete, bürstete und in den Schrank hängte, bevor ich hinunterging. Im Salon tranken mehrere Gäste Tee, einige unterhielten sich mit Leland; Speer, der vor einem Fenster saß, erkannte mich sofort wieder und erhob sich mit einem freundlichen Lächeln, um mir entgegenzukommen und die Hand zu geben. »Sturmbannführer, freut mich sehr, Sie wiederzusehen. Herr Leland hat mir Ihr Kommen avisiert. Ich möchte Sie mit meiner Frau bekannt machen.« Margret Speer saß mit einer weiteren Dame am Kamin, einer gewissen Frau von Wrede, der Gattin eines Generals, der sich uns anschloss; vor den beiden angekommen, schlugich die Hacken zusammen und entbot den deutschen Gruß, den Frau von Wrede erwiderte; Frau Speer reichte mir nur ihre kleine Hand, behandschuht und elegant: »Sehr erfreut, Sturmbannführer. Ich habe schon von Ihnen gehört: Mein Mann hat mir erzählt, dass Sie ihm bei der SS eine große Hilfe sind.« – »Ich tue mein Möglichstes, gnädige Frau.« Sie war schlank, blond, von nordischer Schönheit, mit einem kräftigen ausgeprägten Kinn und Augen von hellem Blau unter blonden Augenbrauen; aber sie wirkte müde, ihre Haut hatte einen gelblichen Schimmer. Mir wurde Tee serviert, und ich plauderte ein wenig mit ihr, während ihr Mann sich zu Leland gesellte. »Ihre Kinder sind nicht mitgekommen?«, fragte ich höflich. »Ach, wissen Sie, wenn ich sie mitgenommen hätte, wäre es keine Erholung geworden. Sie sind in Berlin geblieben. Es war schon schwierig genug, meinen Mann von seinem Ministerium loszureißen, wenn er dann schon einmal einwilligt, will ich nicht, dass er gestört wird. Er hat seine Ruhe so bitter nötig.« Wir kamen auf Stalingrad zu sprechen, denn Frau Speer wusste, dass ich aus dem Kessel herausgekommen war; ein Vetter der Freifrau von Wrede war dortgeblieben, ein Generalmajor und Divisionskommandeur, der sich wohl in russischer Gefangenschaft befand: »Es muss schrecklich gewesen sein!« Ja, bestätigte ich, es sei schrecklich gewesen, und verzichtete aus Höflichkeit auf den Hinweis, dass es für einen General vermutlich nicht ganz so schrecklich gewesen sei wie für einen Landser, etwa Speers Bruder, der, falls er wunderbarerweise noch am Leben sein sollte, sicherlich nicht die Privilegien genoss, die nach unseren Informationen die
Weitere Kostenlose Bücher