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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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es notwendig zu töten, Herr Minister, aus Pflicht. Aus Vergnügen zu töten ist eine freie Entscheidung.« Er lächelte: »Ich habe Gott sei Dank immer nur aus Vergnügen getötet. Ich bin nie im Krieg gewesen.« Eine Weile gingen wir schweigend weiter, nur das Knacken der Zweige und die leisen, verstohlenen Geräusche des Wassers waren zu hören. »Was haben Sie in Russland gemacht, Sturmbannführer?«, fragte Speer. »Haben Sie bei der Waffen-SS gedient?« – »Nein, Herr Minister. Ich war beim SD. Sicherheitsaufgaben.« – »Verstehe.« Er zögerte. Dann fragte er betont beiläufig: »Man hört so viel Gerüchte über das Los der Juden im Osten. Wissen Sie etwas darüber?« – »Die Gerüchte sind mir bekannt, Herr Minister. Der SD sammelt sie, ich habe die betreffenden Berichte gelesen. Sie stammen aus den verschiedensten Quellen.« – »In Ihrer Position müssen Sie doch wissen, was wirklich vor sich geht.« Merkwürdigerweise erwähnte er die Posener Rede des Reichsführers mit keinem Wort (ich war, wie gesagt, davon überzeugt, dass er ihr beigewohnt hatte, aber vielleicht war er wirklich schon vorher gegangen). Höflich erwiderte ich: »Hinsichtlich einiger meiner Aufgaben bin ich zu absoluter Geheimhaltung verpflichtet, Herr Minister. Ich denke, Sie werden das verstehen. Wenn Sie Genaueres wissen möchten, darf ich vorschlagen, dass Sie sich an den Reichsführer oder an Standartenführer Brandt wenden. Ich bin sicher, dass sie Ihnen mit Vergnügen einen detaillierten Bericht zukommen lassen werden.« Wir waren an den Bach gelangt: Ausgelassen sprang der Hund in das flache Wasser. »Hier ist es«, sagte Speer. Er zeigte auf einen Abschnitt, der ein Stück weiter lag: »Sehen Sie, dort in der Mulde verändert sich der Wald. Mehr Nadelbäume und Beerensträucher und weniger Erlen. Ein ideales Gelände, um Auerhähne aufzuscheuchen. Wenn Sie nicht schießen, bleibenSie hinter mir.« Mit langen Schritten durchquerten wir den Bach; jenseits der Mulde ließ Speer das Gewehr zuschnappen, das er aufgeklappt unter dem Arm getragen hatte, und hängte es sich an die Schulter. Dann schritt er voran, aufs Äußerste gespannt. Der Hund blieb dicht bei ihm, den Schwanz aufgestellt. Nach einigen Minuten hörte ich ein lautes Geräusch und sah einen großen braunen Schemen zwischen den Bäumen davonhuschen; im gleichen Augenblick feuerte Speer, hatte aber wohl vorbeigeschossen, denn mit dem Echo hörte ich das Geräusch der Flügel. Dichter Rauch und beißender Korditgeruch standen im Unterholz. Speer hatte das Gewehr noch nicht gesenkt; doch jetzt war alles still. Wieder ertönte lautes Flügelschlagen zwischen den feuchten Zweigen, Speer schoss aber nicht; auch ich hatte nichts gesehen. Der dritte Vogel stieg direkt vor unserer Nase auf, ich sah ihn sehr deutlich, er hatte kräftige Flügel, am Hals aufgeplusterte Federn und manövrierte zwischen den Bäumen erstaunlich behände für einen Vogel seiner Masse, wobei er bei jeder Wendung noch beschleunigte; Speer feuerte, doch der Vogel war zu schnell, Speer hatte die Waffe nicht rasch genug in Anschlag bringen können, der Schuss ging ins Leere. Er klappte die Flinte auf, warf die Patronenhülsen aus, blies den Rauch weg und zog zwei neue Patronen aus der Weste. »Der Auerhahn ist sehr schwer zu erlegen«, erläuterte er. »Deshalb ist die Jagd so interessant. Die Waffe muss sorgfältig ausgesucht werden. Diese ist sehr gut ausbalanciert, aber zu lang für meinen Geschmack.« Er sah mich lächelnd an: »Im Frühjahr, während der Balz, ist es sehr hübsch. Die Hähne schnalzen mit den Schnäbeln, versammeln sich auf Lichtungen für ihren Gesang, paradieren und spreizen sich farbenprächtig. Die Hühner sind, wie so häufig, sehr unscheinbar.« Als er die Flinte wieder geladen hatte, zog er sie an die Schulter, bevor er weiterging. Wenn das Gestrüpp dicht wurde, bahnte er sich einen Weg mit demLauf, ohne diesen noch einmal zu senken. Als er ein Stück vor sich einen weiteren Vogel aufscheuchte, schoss er sofort; ich hörte den Vogel auf dem Boden aufschlagen, im selben Augenblick verschwand der Hund mit einem Satz im Gebüsch. Kurz darauf tauchte er wieder auf, im Maul den Vogel mit baumelndem Kopf. Er legte ihn Speer vor die Füße, der ihn in seiner Jagdtasche verstaute. Ein Stück weiter kamen wir auf eine Lichtung, die mit gelblichem Gras bedeckt war und sich auf Felder öffnete. Speer holte seine Tafel Schokolade heraus: »Möchten Sie auch?« – »Danke, nein.

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