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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Anliegen, Sturmbannführer. Brigadeführer Kammler lässt im Harz eine unterirdische Anlage für die Raketenproduktion bauen. Ich würde sie gerne besichtigen, um mir ein Bild von den Arbeiten zu machen. Können Sie das für mich regeln?« Überrumpelt erwiderte ich: »Ich weiß nicht, Herr Minister. Ich habe noch nie davon gehört. Aber ich werde einmal nachfragen.« Er lachte: »Vor einigen Monaten hat mir Obergruppenführer Pohl einen Brief geschickt, in dem er sich darüber beschwert, dass ich erst ein einziges Konzentrationslager besichtigt und mir meine Meinung über den Arbeitseinsatz der Häftlinge auf der Grundlage viel zu spärlicher Informationen gebildet habe. Ich schicke Ihnen eine Kopie. Wenn man Ihnen Schwierigkeiten macht, brauchen Sie sie nur vorzuzeigen.«
    Ich war müde, aber es war diese anhaltende beglückende Müdigkeit, die man nach körperlicher Betätigung empfindet. Wir waren ziemlich lange gelaufen. Im Eingang des Herrenhausesgab ich Gewehr und Jagdtasche zurück, schabte den Schlamm von meinen Stiefeln und ging in mein Zimmer hinauf. Jemand hatte Holz im Kamin nachgelegt, es war angenehm; ich legte meine durchnässte Kleidung ab und schaute mir das angrenzende Badezimmer an: Es gab nicht nur fließendes Wasser, es war auch noch warm; es kam mir vor wie ein Wunder, in Berlin war warmes Wasser eine Seltenheit; offenbar hatte der Besitzer einen Kessel einbauen lassen. Ich ließ mir ein fast kochend heißes Bad ein und glitt ins Wasser: Ich musste die Zähne zusammenbeißen, doch sobald ich mich daran gewöhnt hatte, streckte ich mich der Länge nach aus, es war sanft und gut wie Fruchtwasser. Ich blieb so lange wie möglich liegen; als ich schließlich hinausstieg, öffnete ich die Fenster weit und stellte mich nackt davor, wie es in Russland üblich ist, bis meine Haut rot und weiß marmoriert war; dann trank ich ein Glas kaltes Wasser und streckte mich bäuchlings auf dem Bett aus.
    Zu Beginn des Abends zog ich meinen Anzug an, verzichtete auf eine Krawatte und ging hinunter. Im Salon hielten sich nur wenige Gäste auf, aber Dr. Mandelbrod saß in seinem großen Sessel vor dem Kamin, schräg, als wollte er sich nur von einer Seite wärmen. Er hatte die Augen geschlossen, daher störte ich ihn nicht. Eine seiner Assistentinnen, in strenger Bauerntracht, kam auf mich zu, um mir die Hand zu geben: »Guten Abend, Dr. Aue. Was für eine Freude, Sie wiederzusehen.« Eingehend musterte ich ihr Gesicht: Nichts zu machen, sie ähnelten sich tatsächlich alle. »Entschuldigen Sie: Sind Sie nun Hilde oder Hedwig?« Sie stieß ein kleines kristallklares Lachen aus: »Weder noch! Sie haben wirklich ein miserables Personengedächtnis. Ich heiße Heide. Wir haben uns in Dr. Mandelbrods Büro gesehen.« Lächelnd verbeugte ich mich und bat um Verzeihung. »Sind Sie schon zur Jagd da gewesen?« – »Nein. Wir sind gerade erst eingetroffen.« – »Wie schade! Ich kann Sie mir sehr gut mit einemGewehr unter dem Arm vorstellen. Eine deutsche Artemis.« Sie musterte mich mit einem kleinen Lächeln: »Ich hoffe, Sie treiben den Vergleich nicht zu weit, Dr. Aue.« Ich merkte, dass ich rot wurde: Keine Frage, Mandelbrod stellte sehr seltsame Assistentinnen ein. Sicher würde auch diese mich auffordern, sie zu schwängern. Zum Glück kam Speer mit seiner Frau hinzu. »Ah! Sturmbannführer«, rief er fröhlich. »Wir sind vielleicht armselige Jäger. Meine Frau hat fünf Vögel zurückgebracht und Hettlage drei.« Frau Speer lachte leichthin: »Ach, du hast bestimmt die ganze Zeit über die Arbeit geredet.« Speer goss sich aus einem großen, schön gearbeiteten Kessel, einer Art Samowar, Tee ein; ich nahm ein Glas Kognak. Dr. Mandelbrod öffnete die Augen und rief Speer, der ihn begrüßen ging. Leland trat ein und gesellte sich zu ihnen. Ich kehrte zu Heide zurück, um mich mit ihr zu unterhalten; sie verfügte über solide philosophische Kenntnisse und unterhielt mich mit einer fast verständlichen Erläuterung der Philosophie Heideggers, den ich damals noch kaum kannte. Die übrigen Gäste trafen nacheinander ein. Etwas später bat uns Leland in einen anderen Saal, wo die erlegten Vögel auf einem langen Tisch lagen, in Haufen arrangiert, wie auf einem flämischen Stillleben. Frau Speer war die Jagdkönigin; der General hatte nur einen einzigen erwischt und beklagte sich missmutig über den Waldabschnitt, der ihm zugeteilt worden war. Ich dachte, wir würden die Opfer dieses Gemetzels zumindest verspeisen,

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