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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Fenster und Heizung: Ein beträchtlicher Teil der Kohlevorräte, die für den Winter in den Gärten gelagert waren, war verbrannt. Brot war überhaupt nicht mehr aufzutreiben, die Geschäfte waren leer, die NSV hatte in den verwüsteten Straßen Feldküchen aufgestellt,aus denen sie Kohlsuppe reichte. Im Komplex der Reichsführung und des RSHA war die Lage nicht ganz so angespannt: Wir hatten zu essen und Schlafplätze, und wer alles verloren hatte, erhielt auch Kleidung und Uniform. Als Brandt mich empfing, schlug ich ihm vor, einen Teil meiner Gruppe nach Oranienburg in die Dienststelle der IKL zu verlegen und in Berlin nur ein kleines Büro als Verbindungsstelle zu behalten. Der Vorschlag gefiel ihm, aber er wollte vorher den Reichsführer fragen. Dieser habe übrigens, teilte er mir mit, Speers Besichtigung von Mittelbau genehmigt: Ich solle alles Weitere in die Wege leiten. »Sorgen Sie dafür, dass der Reichsminister … zufrieden ist«, fügte er hinzu. Er hatte noch eine weitere Überraschung für mich: Ich war zum Obersturmbannführer befördert worden. Darüber war ich erfreut, aber auch erstaunt: »Warum das?« – »Der Reichsführer hat es so entschieden. Ihre Funktionen haben bereits eine gewisse Bedeutung gewonnen, und die wird noch zunehmen. Ach, übrigens, was halten Sie von den Veränderungen in Auschwitz?« Anfang des Monats hatte Obersturmbannführer Liebehenschel, Glücks’ Stellvertreter in der IKL, seine Stellung mit Höß getauscht; seither war Auschwitz in drei verschiedene Lager aufgeteilt: das Stammlager und der Komplex Birkenau sowie Monowitz mit allen Nebenlagern . Liebehenschel war Kommandant von Auschwitz I und außerdem Standortältester aller drei Lager, was ihm die Befugnis gab, die Arbeit der Hauptsturmführer Hartjenstein und Schwarz, der beiden anderen neuen Kommandanten, zu beaufsichtigen – Schwarz war vorher Arbeitskommandoführer und dann Lagerführer unter Höß gewesen. »Standartenführer, ich glaube, dass die administrative Neugestaltung eine ausgezeichnete Maßnahme ist: Das Lager war viel zu groß und wurde allmählich unübersichtlich. Soweit ich sehen kann, ist Obersturmbannführer Liebehenschel eine gute Wahl, er hat die neuen Prioritäten begriffen. Doch angesichts der Berufungvon Obersturmbannführer Höß in die IKL muss ich gestehen, dass ich die Personalpolitik dieser Organisation nicht recht verstehen kann. Ich empfinde größte Hochachtung für Obersturmbannführer Höß und halte ihn für einen ausgezeichneten Soldaten, aber wenn Sie mich fragen, gehört er an die Spitze einer Waffen-SS-Standarte an die Front. Er ist kein Verwaltungsbeamter. Liebehenschel hat den größten Teil der laufenden IKL-Geschäfte geführt. Für solche Details der Verwaltungsarbeit interessiert sich Höß bestimmt nicht.« Eulenartiger denn je musterte mich Brandt durch seine Brille. »Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit. Aber ich glaube nicht, dass der Reichsführer Ihre Auffassung teilt. Und selbst wenn Obersturmbannführer Höß andere Talente als Liebehenschel haben sollte, bleibt immer noch Standartenführer Maurer.« Ich nickte; Brandt teilte die allgemeine Ansicht über Glücks. Als ich Isenbeck in der folgenden Woche wiedersah, berichtete er mir, was man sich in Oranienburg erzählte: Allen, nur Höß selbst nicht, war klar, dass er die längste Zeit in Auschwitz gewesen war; vermutlich hatte der Reichsführer ihn persönlich über seine Versetzung informiert – anlässlich eines Besuchs, der, wie Höß in Oranienburg erzählte, die BBC-Sendungen über die Vernichtungslager zum Vorwand hatte; seine Beförderung an die Spitze des D I ließ das glaubhaft erscheinen. Doch warum behandelte man ihn mit so viel Rücksichtnahme? Für Thomas, dem ich die Frage gestellt hatte, gab es nur eine Erklärung: Höß hatte in den zwanziger Jahren zusammen mit Bormann eine Gefängnisstrafe wegen eines Fememords abgesessen; offenbar waren sie in Verbindung geblieben, und Bormann hielt nun seine schützende Hand über Höß.
    Sobald der Reichsführer meinen Vorschlag angenommen hatte, begann ich mit der Neuordnung meines Büros. Der ganze Stab, der mit Nachforschungen befasst war, wurde unter der Leitung von Asbach nach Oranienburg verlegt.Asbach schien erleichtert, Berlin verlassen zu können. Mit Fräulein Praxa und zwei weiteren Bürokräften richtete ich mich wieder in meinen alten Diensträumen im SS-Haus ein. Walser war nicht wieder aufgetaucht: Piontek, den ich schließlich zu

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