Die Wohlgesinnten
fröhlich: »Warme Duschen! Was für ein Luxus!« Sie sprang ihrerseits ins Wasser, durchquerte die Hälfte des Beckens unter Wasser und begann ihre Bahnen zu schwimmen. Ich war schon müde und stieg aus dem Wasser, zog mir einen Bademantel an und setzte mich auf einen der Liegestühle am Beckenrand, um zu rauchen und ihr beim Schwimmen zuzuschauen. Thomas hatte tropfend neben mir Platz genommen: »Wird auch Zeit, dass du mal was unternimmst.« – »Gefällt sie dir?« Das Plätschern des Wassers hallte von der Saaldecke wider. Helene schwamm vierzig Bahnen – einen Kilometer – ohne Pause. Dann stützte sie sich auf den Beckenrand, wie das erste Mal, als ich sie gesehen hatte, und lächelte mir zu: »Sie schwimmen nicht viel.« – »Das sind die Zigaretten. Ich bin nicht in Form.« – »Schade.« Wieder hob sie die Arme und ließ sichunter Wasser gleiten; doch dieses Mal tauchte sie dort wieder auf, wo sie verschwunden war, und zog sich mit einer geschmeidigen Bewegung aus dem Wasser. Sie nahm ein Handtuch, trocknete sich das Gesicht ab und setzte sich zu uns, wobei sie ihre Kappe abnahm und das feuchte Haar schüttelte. »Und Sie«, fragte sie Thomas, »befassen Sie sich auch mit Wirtschaftsfragen?« – »Nein«, antwortete er. »Das überlasse ich Max. Er ist viel intelligenter als ich.« – »Er ist Polizist«, fügte ich hinzu. Thomas verzog das Gesicht: »Sagen wir doch, dass ich beim Sicherheitsdienst bin.« – »Brrr … Das muss ja scheußlich sein«, sagte Helene. »Halb so schlimm.« Ich drückte meine Zigarette aus und schwamm wieder ein wenig. Helene legte noch einmal zwanzig Bahnen zurück; Thomas flirtete mit einem der Tippfräuleins. Danach ging ich unter die Dusche und zog mich um; ich ließ Thomas in der Schwimmhalle zurück und schlug Helene vor, einen Tee zu trinken. »Wo denn?« – »Eine gute Frage. Unter den Linden gibt es nichts mehr. Aber wir finden schon etwas.« Schließlich führte ich sie ins Hotel Esplanade in der Bellevuestraße: Es war beschädigt, aber von größeren Zerstörungen verschont geblieben; im Teesalon fühlte man sich, abgesehen von den Brettern vor den Fenstern, die aber hinter Brokatvorhängen verborgen waren, fast in die Vorkriegszeit versetzt. »Was für ein schöner Ort«, murmelte Helene. »Hier war ich noch nie.« – »Der Kuchen ist ausgezeichnet. Und sie servieren keinen Ersatz.« Ich bestellte einen Kaffee und sie einen Tee; außerdem nahmen wir einen kleinen Kuchenteller. Das Gebäck war wirklich ausgezeichnet. Als ich mir eine Zigarette anzündete, bat sie mich ebenfalls um eine. »Sie rauchen?« – »Gelegentlich.« Später sagte sie nachdenklich: »Schade, dass es diesen Krieg gibt. Es hätte alles so schön sein können.« – »Vielleicht. Ich muss Ihnen gestehen, dass ich nicht darüber nachdenke.« Sie sah mich an: »Sagen Sie ganz ehrlich: Wir werden ihn verlieren, nicht wahr?« – »Nein!«,sagte ich schockiert. »Ganz bestimmt nicht.« Wieder blickte sie ins Leere und nahm einen letzten Zug aus ihrer Zigarette. »Wir werden den Krieg verlieren«, sagte sie. Ich brachte sie nach Hause. Vor der Haustür gab sie mir mit ernstem Gesicht die Hand. »Danke«, sagte sie. »Es hat mir große Freude bereitet.« – »Ich hoffe, es war nicht das letzte Mal.« – »Ich auch. Auf bald.« Ich sah ihr nach, wie sie über den Gehsteig ging und im Haus verschwand. Dann fuhr ich nach Hause und hörte Monteverdi.
Ich verstand nicht, was ich von dieser jungen Frau wollte; aber ich versuchte auch nicht, es zu verstehen. Mir gefiel ihre Sanftheit, eine Sanftheit, von der ich bisher geglaubt hatte, dass sie nur auf den Bildern Vermeers existierte, und hinter der deutlich die biegsame Kraft einer Stahlklinge zu spüren war. Mir hatte dieser Nachmittag großes Vergnügen gemacht, und im Augenblick genügte mir das völlig, ich wollte nicht darüber nachdenken. Nachdenken, das ahnte ich, hätte sofort schmerzliche Fragen und Forderungen heraufbeschworen: Dieses eine Mal verspürte ich kein Verlangen danach, ich war zufrieden damit, mich dem Gang der Ereignisse zu überlassen, wie ich mich der wunderbar klaren und zugleich gefühlvollen Musik Monteverdis überließ, und einfach abzuwarten. In der folgenden Woche, in den müßigen Augenblicken während der Arbeit oder am Abend zu Hause, tauchte immer wieder der Gedanke an ihr ernstes Gesicht oder ihr ruhiges Lächeln auf, fast zärtlich, ein freundschaftlich-liebevoller Gedanke, der mich nicht
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