Die Wohlgesinnten
erwies sich als schwierig, wegen gesperrter Straßen mussten wir einen Umweg über den Tiergarten fahren, dabei konnte ich mich aber, als wir durch die Flensburger Straße kamen, voller Freude davon überzeugen, dass mein Wohnblock noch stand. Alt-Moabit war, von ein paar verirrten Bomben abgesehen, mehr oder weniger verschont geblieben, und ich setzte Helene vor einem kleinen Mietshaus ab. »Jetzt weiß ich, wo Sie wohnen«, sagte ich im Fortgehen, »wenn Sie gestatten, komme ich Sie besuchen, sobald sich alles etwas beruhigt hat.« – »Ich würde mich sehr freuen«, sagte sie wieder mit diesem schönen, ruhigen Lächeln, das ihr eigen war. Dann kehrte ich ins Hotel Eden zurück, von dem nur noch die ausgebrannten Grundfesten standen. Drei Luftminen hatten das Dach durchschlagen und nichts übrig gelassen. Glücklicherweise hatte die Bar gehalten, die Hotelgäste waren mit dem Leben davongekommen und aus dem Keller befreit worden. Mein georgischer Zimmergenosse trank mit einigen der anderen Ausgebombten Kognak aus der Flasche; kaum dass er mich sah, nötigte er mich zu einem kräftigen Schluck. »Ich habe alles verloren! Alles! Vor allem tut es mir um die Schuhe leid. Vier neue Paar!« – »Und wohin wollen Siejetzt?« Er zuckte die Achseln: »Ich habe Freunde, nicht allzu weit, in der Rauchstraße.« – »Kommen Sie, ich bringe Sie hin.« Das Haus, das der Georgier mir zeigte, hatte zwar keine Fenster mehr, schien aber noch bewohnt zu sein. Ich wartete einige Minuten, während er sich erkundigen ging. Hocherfreut kam er zurück: »Alles in Ordnung! Sie fahren nach Marienbad, ich begleite sie. Kommen Sie auf ein Glas mit hoch?« Ich lehnte höflich ab, aber er ließ nicht locker: »Kommen Sie! Na possoschok. « Ich fühlte mich leer und erschöpft. Ich wünschte ihm viel Glück und machte mich aus dem Staub. Bei der Geheimen Staatspolizei teilte mir ein Untersturmführer mit, Thomas sei bei Schellenberg untergekommen. Ich aß eine Kleinigkeit, ließ mir ein Bett in dem improvisierten Schlafsaal richten und ging schlafen.
Am folgenden Tag, Donnerstag, setzte ich mich wieder an die Statistik für Brandt. Walser war immer noch nicht erschienen, aber ich machte mir keine großen Sorgen. Als Ersatz für die zerstörten Telefonleitungen half uns jetzt eine von Goebbels zur Verfügung gestellte Schar Hitlerjungen. Wir ließen sie in alle Richtungen ausschwärmen, per Rad und zu Fuß, um Nachrichten und Briefe zu überbringen. In der Stadt brachten die fieberhaften Bemühungen der Behörden erste Erfolge: In einigen Vierteln gab es schon wieder Wasser und Strom, auf manchen Strecken fuhr die Straßenbahn wieder, auch U- und S-Bahn wurden eingesetzt, wo es möglich war. Wir wussten, dass Goebbels an eine teilweise Evakuierung der Stadt dachte. Die Ruinen waren überall mit Kreideinschriften übersät, Suchmeldungen, mit denen die Leute ihre Eltern, Freunde oder Nachbarn wiederzufinden hofften. Gegen Mittag ließ ich mir von der Polizei einen Lieferwagen geben, um Asbach bei der Beerdigung seiner Schwiegermutter zu helfen, die auf dem Friedhof am Plötzensee an der Seite ihres vier Jahre zuvor an Krebs gestorbenen Mannes liegen sollte. Asbach ging es offenbar etwas besser:Seine Frau schien wieder bei Sinnen zu sein, sie hatte ihn wiedererkannt; doch er hatte ihr noch nichts gesagt, weder von ihrer Mutter noch von dem Kind. Fräulein Praxa begleitete uns und hatte sogar Blumen aufgetrieben; Asbach war sichtlich gerührt. Abgesehen von uns, waren nur noch drei seiner Freunde da, ein Ehepaar und ein Pastor. Der Sarg war aus groben, ungehobelten Brettern zusammengenagelt; Asbach wiederholte, dass er seine Schwiegermutter so bald wie möglich exhumieren lassen werde, um ihr ein würdiges Begräbnis zu bereiten: Zwar hätten sie sich nie besonders verstanden, fügte er hinzu, sie habe nie ein Hehl aus ihrer Verachtung für seine SS-Uniform gemacht, aber trotzdem sei sie die Mutter seiner Frau, und Asbach liebte seine Frau. Ich beneidete ihn nicht um seine Situation: Allein auf der Welt zu sein hat manchmal große Vorteile, besonders in Kriegszeiten. Ich setzte ihn an dem Lazarett ab, in dem seine Frau lag, und kehrte zum SS-Haus zurück. An diesem Abend fand kein Fliegerangriff statt; am frühen Abend gab es Alarm, der panische Bewegungen auf den Straßen auslöste, doch es handelte sich nur um Fernaufklärer, die kamen, um die Schäden zu fotografieren. Nach dem Alarm, den ich im Bunker der Geheimen Staatspolizei abwartete,
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