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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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mir noch nicht gestellt.« – »Wie haben Sie von ihrem Tod erfahren?« – »Meine Schwester hat mir davon berichtet.« – »Sie ist tatsächlich fast unverzüglich hingefahren«, sagte Weser, der sich noch immer zu Clemens hinüberbeugte, um in dessen Notizbuch zu blicken, »am 2. Mai, um genau zu sein. Wissen Sie, wie sie davon erfahren hat?« – »Nein.« – »Haben Sie sie inzwischen wiedergesehen?«, fragte Clemens. »Nein.« – »Wo hält sie sich jetzt auf?«, fragte Weser. »Sie lebt mit ihrem Mann in Pommern. Ich kann Ihnen die Adresse geben, aber ich weiß nicht, ob sie jetzt dort sind. Sie reisen häufig in die Schweiz.« Weser nahm Clemens das Notizbuch aus der Hand und notierte etwas. Clemens fragte mich: »Sie haben keinen Kontakt zu ihr?« – »Nicht sehr oft«, antwortete ich. »Und Ihre Mutter, haben Sie die öfter gesehen?«, fragte Weser. Sie schienen sich beim Sprechen systematisch abzuwechseln, und dieses Spielchen ging mir entsetzlich auf die Nerven. »Auch nicht sehr oft«, antwortete ich äußerst brüsk. »Kurzum«, sagte Clemens, »Sie stehen Ihrer Familie nicht sehr nahe.« – »Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, meine Herren, dass ich mit Ihnen nicht über meine Gefühle sprechen werde. Ich wüsste nicht, was Sie meine familiären Beziehungen angingen.« – »Bei einem Mord, Herr Obersturmbannführer«, sagte Weser belehrend, »interessiert sich die Polizei für alles.« Sie waren wirklich wie zwei Cops aus einem amerikanischen Film. Aber das war sicherlich Absicht. »Dieser Herr Moreau war Ihr Stiefvater, richtig?«, Weser ergriff wieder das Wort. »Ja. Er hat meine Mutter … 1929 geheiratet, glaube ich. Vielleicht auch 28.« – »1929, genau«, sagte Weser, wieder mit Blick in sein Notizbuch. »Kennen Sie seine testamentarischen Verfügungen?«, fragte Clemens unvermittelt. Ich schüttelte den Kopf: »Keineswegs.Warum?« – »Herr Moreau war kein armer Mann«, sagte Weser. »Vielleicht erben Sie ja ein hübsches Sümmchen.« – »Das würde mich wundern. Mein Stiefvater und ich verstanden uns nicht sehr gut.« – »Möglich«, antwortete Clemens, »aber er hat keine Kinder, auch keine Geschwister. Wenn er kein Testament hinterlassen hat, geht alles an Sie und Ihre Schwester.« – »Daran habe ich überhaupt noch nicht gedacht«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Doch anstatt hier wilde Vermutungen anzustellen, sagen Sie mir doch einfach, ob ein Testament gefunden wurde.« Weser blätterte im Notizbuch: »Um ehrlich zu sein, wir wissen es noch nicht.« – »Mit mir hat sich jedenfalls noch niemand deswegen in Verbindung gesetzt«, erklärte ich. Weser kritzelte etwas in sein Notizbuch. »Noch eine Frage, Herr Obersturmbannführer: Bei Herrn Moreau lebten zwei Kinder. Zwillinge.« – »Ich habe diese Kinder gesehen. Meine Mutter sagte, es seien die Kinder einer Freundin. Wissen Sie, wer sie sind?« – »Nein«, knurrte Clemens. »Offenbar wissen die Franzosen es auch nicht.« – »Sind sie Zeugen des Mordes?« – »Sie haben noch keinen Ton gesagt«, meinte Weser. »Möglich, dass sie etwas gesehen haben«, fügte Clemens hinzu. »Aber sie wollten nicht reden«, wiederholte Weser. »Vielleicht standen sie unter Schock«, sagte Clemens. »Und was ist jetzt mit ihnen?«, fragte ich. »Das ist ja das Merkwürdige«, sagte Weser, »Ihre Schwester hat sie mitgenommen.« – »Wir wissen nicht so recht, warum«, sagte Clemens. »Noch wie sie das angestellt hat.« – »Obendrein scheint das höchst rechtswidrig zu sein«, meinte Weser. »Außerordentlich rechtswidrig«, echote Clemens. »Aber damals hatten noch die Italiener das Sagen. Bei denen ist alles möglich.« – »Wirklich alles«, unterstrich Weser. »Nur keine vernünftige Ermittlung.« – »Bei den Franzosen ist das übrigens keinen Deut besser«, übernahm Clemens wieder. »Ja, bei denen ist es genauso«, bestätigte Weser. »Es ist kein Vergnügen, mit denen zusammenzuarbeiten.« –»Das ist ja alles schön und gut, meine Herren«, unterbrach ich sie, »aber was hat das mit mir zu tun?« Clemens und Weser blickten sich an. »Hören Sie, ich bin im Augenblick sehr beschäftigt. Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, können wir es dabei bewenden lassen?« Clemens nickte; Weser blätterte in seinem Notizbuch und gab es ihm zurück. Dann stand er auf: »Entschuldigen Sie, Herr Obersturmbannführer.« – »Ja«, sagte Clemens, ebenfalls aufstehend. »Entschuldigen Sie uns. Im Augenblick ist das alles.« –

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