Die Wohlgesinnten
war weggebrochen. Am nächsten Tag ließ Brandt mich zu sich kommen und teilte mir liebenswürdig mit, das SS-Gericht habe beim Reichsführer um Genehmigung ersucht, im Mordfall meiner Mutter gegen mich zu ermitteln. Ich spürte, wie mir der Zorn die Röte ins Gesicht trieb, und sprang von meinem Stuhl auf: »Standartenführer! Das ist eine infame Unterstellung, die in den kranken Hirnen von karrieresüchtigen Polizisten ausgebrütet wurde. Ich bin gern bereit, mich einer polizeilichen Untersuchung zu stellen, damit mein Name von jedem Verdacht reingewaschen wird. Doch in diesem Fall bitte ich um Beurlaubung, bis meine Unschuld erwiesen ist. Es wäre unerträglich, dass der Reichsführer in seinem persönlichen Stab jemanden behielte, der einer so ungeheuerlichen Gräueltat verdächtigt wird.« – »Beruhigen Sie sich, Obersturmbannführer. Noch ist keine Entscheidung gefallen. Erzählen Sie mir lieber, was geschehen ist.« Ich setzte mich wieder undberichtete ihm von den Ereignissen, wobei ich mich an die Version hielt, die ich auch den Polizisten erzählt hatte. »Was die so aufbringt, ist mein Besuch in Antibes. Es stimmt, meine Mutter und ich hatten lange Zeit ein sehr distanziertes Verhältnis. Aber Sie wissen ja, was für eine Verwundung ich in Stalingrad davongetragen habe. Wenn man dem Tod so nahe ist, fängt man an nachzudenken: Ich habe mir gesagt, wir müssten unsere Differenzen ein für alle Mal beilegen. Leider ist sie jetzt auf diese entsetzliche, unvorstellbare Weise ums Leben gekommen.« – »Und wie ist es Ihrer Meinung nach geschehen?« – »Ich habe nicht die geringste Vorstellung, Standartenführer. Ich habe kurz darauf begonnen, für den Reichsführer zu arbeiten, und bin nicht noch einmal dorthin zurückgekehrt. Meine Schwester, die zum Begräbnis gefahren ist, hat von Untergrundkämpfern gesprochen, von einer Abrechnung; mein Stiefvater hat die Wehrmacht mit verschiedenen Dingen beliefert.« – »Das ist leider absolut möglich. Dergleichen passiert jetzt immer häufiger in Frankreich.« Er presste die Lippen zusammen und senkte den Kopf, sodass das Licht von seinen Brillengläsern reflektiert wurde. »Hören Sie, ich denke, der Reichsführer wird mit Ihnen sprechen wollen, bevor er eine Entscheidung trifft. In der Zwischenzeit würde ich an Ihrer Stelle, wenn ich das vorschlagen darf, den Richter aufsuchen, von dem das Gesuch stammt. Es handelt sich um Herrn Baumann, einen Richter am SS- und Polizeigericht Berlin. Das ist ein absolut ehrenhafter Mann: Wenn Sie wirklich das Opfer von besonders Übelgesinnten sind, können Sie ihn vielleicht selbst davon überzeugen.«
Ich machte sofort einen Termin mit diesem Richter. Er empfing mich in seinem Dienstzimmer im Gericht: ein Jurist mittleren Alters, in der Uniform eines Standartenführers, mit kantigem Gesicht und schiefer Nase, ein Ringer vielleicht. Ich hatte meine beste Uniform mit allen Orden und Auszeichnungen angelegt. Nachdem ich gegrüßt hatte, forderteer mich auf, Platz zu nehmen. »Vielen Dank, dass Sie Zeit für mich gefunden haben, Herr Richter«, sagte ich, ich bediente mich dieser Anrede, um seinen SS-Rang zu vermeiden. »Ich bitte Sie, Obersturmbannführer. Das ist doch selbstverständlich.« Er öffnete einen Aktendeckel auf seinem Schreibtisch. »Ich habe mir Ihre Personalakte kommen lassen. Ich hoffe, Sie nehmen keinen Anstoß daran.« – »Keineswegs. Gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, was ich auch dem Reichsführer mitzuteilen gedenke: Ich halte diese Anschuldigungen, die einen so persönlichen Bereich meines Lebens betreffen, für unerträglich und bin bereit, in jeder nur denkbaren Hinsicht mit Ihnen zusammenzuarbeiten, um sie restlos zu entkräften.« Baumann hüstelte: »Sie verstehen sicherlich, dass ich noch keine Untersuchung angeordnet habe. Ohne Zustimmung des Reichsführers kann ich das nicht. Die Akte, die mir vorliegt, ist sehr dünn. Grundlage meines Antrags ist ein Gesuch der Kripo, die behauptet, über Anhaltspunkte zu verfügen, die ihre Ermittler vertiefen möchten.« – »Ich habe zweimal mit diesen Ermittlern gesprochen. Alles, was sie vorzuweisen hatten, waren grund- und haltlose Unterstellungen, reine – entschuldigen Sie – Fantastereien.« – »Das ist durchaus möglich«, sagte er entgegenkommend. »Ich sehe hier, dass Sie ein sehr erfolgreiches Studium absolviert haben. Wären Sie bei der Jurisprudenz geblieben, so wären wir heute vielleicht Kollegen. Ihren ehemaligen Lehrer, Dr. Jessen,
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