Die Wohlgesinnten
kenne ich sehr gut. Ein ausgezeichneter Jurist.« Er blätterte weiter in der Akte. »Entschuldigen Sie, aber hat Ihr Vater nicht mit dem Freikorps Roßbach in Kurland gekämpft? Ich erinnere mich an einen Offizier namens Aue.« Er nannte den Vornamen. Mein Herz begann heftig zu schlagen. »Das ist in der Tat der Name meines Vaters. Aber ich kann Ihre Frage leider nicht beantworten. Mein Vater ist 1921 verschwunden, seither habe ich nichts mehr von ihm gehört. Gut möglich, dass er es war. Wissen Sie, was aus ihm geworden ist?« – »Leider nein. Ichhabe ihn beim Rückzug im Dezember 1919 aus den Augen verloren. Da lebte er noch. Später hörte ich, er habe am Kapp-Putsch teilgenommen. Das haben ja viele Baltikumer getan.« Er überlegte. »Sie könnten Nachforschungen anstellen. Es gibt noch immer Verbände ehemaliger Freikorpskämpfer.« – »Eine ausgezeichnete Idee, SS-Richter.« Er hüstelte wieder und richtete sich in seinem Sessel auf. »Gut. Kommen wir auf Ihre Angelegenheit zurück, wenn Sie einverstanden sind. Was können Sie mir dazu sagen?« Ich erstattete ihm den gleichen Bericht wie Brandt. »Das ist ja eine grauenhafte Geschichte«, sagte er schließlich. »Das muss Sie ja entsetzlich mitgenommen haben.« – »Selbstverständlich, Herr Richter. Noch mehr aber die Anschuldigungen dieser beiden Verteidiger der öffentlichen Ordnung, die sicherlich nicht einen einzigen Tag an der Front verbracht haben und sich trotzdem anmaßen, einen SS-Offizier in den Schmutz zu ziehen.« Baumann kratzte sich am Kinn: »Ich kann verstehen, wie sehr Sie das verletzen muss, Obersturmbannführer. Aber vielleicht wäre es ja die beste Lösung, dass wir Licht in diese Angelegenheit bringen.« – »Ich habe nichts zu befürchten, Herr Richter. Ich unterwerfe mich der Entscheidung des Reichsführers.« – »Sie haben Recht.« Er stand auf und brachte mich zur Tür. »Ich habe noch einige alte Fotos aus Kurland. Wenn Sie möchten, kann ich einmal nachsehen, ob nicht eines von diesem Aue dabei ist.« – »Das wäre wunderbar.« Im Flur drückte er mir die Hand. »Machen Sie sich keine Sorgen, Obersturmbannführer. Heil Hitler!« Meine Unterhaltung mit dem Reichsführer fand am nächsten Tag statt und war kurz und klar. »Was ist das für eine lächerliche Geschichte, Obersturmbannführer?« – »Ich werde des Mordes beschuldigt, mein Reichsführer. Es wäre komisch, wenn es nicht so traurig wäre.« In kurzen Worten schilderte ich ihm die näheren Umstände. Himmler kam sehr rasch zu einer Entscheidung: »Obersturmbannführer, ich hatte Gelegenheit,Sie kennenzulernen. Sie haben Ihre Fehler: Sie sind, entschuldigen Sie, dass ich Ihnen das so sage, stur und gelegentlich pedantisch. Aber ich kann an Ihnen nicht die Spur eines moralischen Makels entdecken. Rassisch sind Sie ein perfektes nordisches Exemplar, vielleicht nur mit einem Tropfen alpinen Blutes. Nur rassisch entartete Nationen – Polen, Zigeuner – sind des Muttermordes fähig. Oder ein Italiener in einer hitzigen Aufwallung, im Streit, aber nicht kaltblütig. Nein, das ist lächerlich. Der Kripo fehlt es an jeglichem Urteilsvermögen. Ich muss Gruppenführer Nebe anweisen, dass er seine Leute in der rassischen Analyse schult, dadurch könnten sie viel Zeit sparen. Natürlich werde ich die Ermittlungen gegen Sie nicht genehmigen. Das wäre ja noch schöner!«
Baumann rief mich einige Tage später an. Das muss Mitte Februar gewesen sein, denn ich erinnere mich noch, dass es kurz nach dem schweren Bombenangriff war, bei dem das Hotel Bristol während eines Festbanketts getroffen wurde: Rund sechzig Personen wurden von den Trümmern erschlagen, darunter eine Gruppe bekannter Generale. Baumann schien bester Laune und gratulierte mir lebhaft. »Ich persönlich«, sagte er am Ende der Leitung, »habe diese Angelegenheit immer für grotesk gehalten. Ich freue mich für Sie, dass der Reichsführer die Sache beendet hat. Das erspart uns weitere Geschichten.« Was die Fotos angehe, so habe er eines gefunden, auf dem dieser Aue sei, allerdings verschwommen und kaum erkennbar. Er war sich noch nicht einmal sicher, ob es sich wirklich um ihn handle, versprach aber, einen Abzug machen zu lassen und ihn mir zu schicken.
Unzufrieden mit der Entscheidung des Reichsführers waren nur Clemens und Weser. Ich begegnete ihnen eines Abends auf der Straße vor dem SS-Haus, die Hände in den Taschen ihrer langen Mäntel, Schultern und Hüte mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt.
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