Die Wohlgesinnten
den Tag zu legen, habe das RSHA das Gesuch abgelehnt. »Das ist einfach lächerlich«, sagte Speer mit einer Stimme, die schwer vor Müdigkeit war. »Welche Gefahr können denn drei Juden, die mit Metallen handeln, für Deutschland bedeuten? Ihre Dienste sind im Augenblick sehr wertvoll.« Ich bat ihn, mir eine Kopie des Briefwechsels zu schicken, und versprach, mein Möglichstes zu tun. Der ablehnende Bescheid des RSHA war zwar von Müller unterschrieben, trug aber die Diktatzeichen des IV B 4a. Ich rief Eichmann an und wünschte ihm zunächst ein frohes neues Jahr. »Danke, Obersturmbannführer«, sagte er in seiner merkwürdigen österreichisch-berlinerischen Sprechweise. »Glückwunsch übrigens zu Ihrer Beförderung.« Dann schilderte ich ihm Speers Anliegen. »Ich habe den Vorgang nicht selbst bearbeitet«, sagte Eichmann. »Das muss Hauptsturmführer Moes gewesen sein, der beschäftigt sich mit den Einzelfällen. Aber natürlich hat er Recht. Wissen Sie, wie viele Anträge dieser Art wir bekommen? Würden wir jedes Mal Ja sagen, könnten wir den Laden dichtmachen, dann dürften wir keinen einzigen Juden mehr anrühren.« – »Ich verstehe vollkommen, Obersturmbannführer. Aber dies hier ist ein persönliches Gesuch des Reichsministers für Rüstung und Kriegsproduktion.« – »Na ja, das muss deren Heini in Holland sein, der ist ein bisschen übereifrig, und nach und nach ist das dann dem Minister zu Ohren gekommen. Doch das sind einfach Kompetenzstreitigkeitenzwischen einzelnen Abteilungen. Nein, wissen Sie, auf so etwas können wir nicht eingehen. Außerdem ist die Situation in Holland oberfaul. Da gibt es ganze Gruppen, die frei herumspazieren, das geht einfach nicht.« Ich versuchte ihn umzustimmen, aber Eichmann blieb unnachgiebig. »Nein, wenn wir uns darauf einlassen, heißt es wieder, dass es außer dem Führer keinen überzeugten Antisemiten unter den Deutschen gibt. Es geht einfach nicht.«
Was wollte er damit sagen? Auf jeden Fall konnte Eichmann das nicht selbst entscheiden, und das wusste er. »Hören Sie, geben Sie uns das schriftlich rein«, sagte er schließlich widerwillig. Ich beschloss, Müller direkt anzuschreiben, doch von dem bekam ich den gleichen Bescheid: leider seien keine Ausnahmen möglich. Ich überlegte, ob ich den Reichsführer fragen sollte, entschied mich dann aber für eine Rückfrage bei Speer, um zu sehen, wie viel ihm tatsächlich an diesen Juden lag. Doch im Reichsministerium teilte man mir mit, Speer sei krank und dienstunfähig. Ich erkundigte mich: Er lag in Hohenlychen, dem SS-Krankenhaus, in dem ich nach Stalingrad gepflegt worden war. Ich besorgte mir einen Blumenstrauß und fuhr ihn besuchen. Er hatte eine ganze Suite im Privatflügel belegt und sich dort mit seiner Privatsekretärin und einigen Assistenten eingerichtet. Die Sekretärin erklärte mir, nach einem Weihnachtsurlaub in Lappland sei eine alte Knieentzündung wieder aufgebrochen; als sich sein Zustand verschlechtert habe, sei Dr. Gebhardt, der berühmte Kniespezialist, zu dem Schluss gekommen, dass es sich um eine rheumatische Entzündung handle. Ich traf Speer in grässlicher Laune an: »Ach, Sie sind es, Obersturmbannführer. Frohes neues Jahr. Und?« Ich berichtete ihm, dass das RSHA bei seiner Haltung bleibe; vielleicht könne er ja, schlug ich vor, wenn er den Reichsführer sehe, persönlich mit ihm darüber sprechen. »Ich denke, der Reichsführer hat Wichtigeres zu tun«, sagte er unwirsch. »Ich auch. Wie Sie sehen, mussich mein Ministerium von hier aus leiten. Wenn Sie die Sache nicht selber regeln können, lassen Sie es.« Ich blieb noch einige Minuten, dann zog ich mich zurück: Ich kam mir überflüssig vor.
Im Übrigen verschlechterte sich sein Zustand rapide; als ich einige Tage später wieder anrief, um mich nach ihm zu erkundigen, teilte mir seine Sekretärin mit, er nehme keine Anrufe entgegen. Ich führte ein paar Telefonate: Es hieß, er liege im Koma, es stünde auf des Messers Schneide. Ich fand es merkwürdig, dass eine Knieentzündung, selbst wenn sie rheumatisch war, solche Folgen haben sollte. Hohenegg, mit dem ich darüber sprach, wollte sich kein Urteil anmaßen. »Aber wenn er den Geist aufgibt und man mir die Autopsie überlässt, werde ich Ihnen sagen, was er hatte.« Auch ich hatte Wichtigeres zu tun. Am Abend des 30. Januars hatten die Engländer den schwersten Angriff seit November geflogen; wieder hatte es mich meine Fensterscheiben gekostet, und ein Teil des Balkons
Weitere Kostenlose Bücher