Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
Vom Netzwerk:
an diesen Bedingungen ändern könnten. Also suchte ich Major Baky auf, den für die Gendarmerie verantwortlichen Staatssekretär; Baky wischte meine Vorhaltungen mit der Bemerkung »Sie brauchen sie nur schneller zu übernehmen« vom Tisch und verwies mich an Oberstleutnant Ferenczy, den mit der technischen Durchführung der Evakuierungen betrauten Offizier, einen verbitterten, schwer zugänglichen Mann, der mir einen einstündigen Vortrag hielt, in dem er mir erklärte, dass er die Juden nur zu gern besser verpflegen würde, wenn er die nötigen Lebensmittel bekäme, und die Waggons nicht so überfüllen würde, wenn ihm mehr Züge zur Verfügung stünden, dass aber seine Hauptaufgabe darin bestehe, die Juden zu evakuieren, und nicht, sie zu verhätscheln. Mit Wislicenysuchte ich eine dieser »Sammelstellen« auf, ich weiß nicht mehr genau, wo, vielleicht in der Gegend von Kaschau: ein grausiges Schauspiel, die Juden wurden familienweise auf dem Hof einer Ziegelei zusammengepfercht, unter freiem Himmel im Frühlingsregen, die Kinder spielten in kurzen Hosen in den Pfützen, die Erwachsenen blieben apathisch auf ihrem Gepäck sitzen oder gingen hin und her. Ich war verblüfft über den Gegensatz zwischen diesen Juden und denen, die ich bis dahin näher kennengelernt hatte, den galizischen und ukrainischen Juden; diese hier waren kultivierte Menschen, häufig aus dem Bürgertum, und selbst die Handwerker und Bauern, die zahlreich vertreten waren, machten einen sauberen und anständigen Eindruck, die Kinder waren, den Umständen zum Trotz, gewaschen und gekämmt und trugen teilweise die grüne Nationaltracht mit schwarzem Schnurbesatz und kleinen Käppis. All das machte den Anblick noch bedrückender, trotz ihrer gelben Sterne hätten es deutsche oder zumindest tschechische Dorfbewohner sein können, und düstere Gedanken überfielen mich, ich stellte mir diese schmucken Burschen und diese hübschen scheuen Mädchen im Gas vor, ein Gedanke, bei dem sich mir der Magen umdrehte, aber da ließ sich nichts machen, ich betrachtete die Schwangeren und stellte sie mir in den Gaskammern vor, die Hände auf den runden Bäuchen, und ich fragte mich schaudernd, was mit dem Fötus einer vergasten Frau geschähe, ob er sofort mit seiner Mutter stürbe oder sie um kurze Zeit überlebte, gefangen in seinem toten Behältnis, seinem Paradies, das ihn erstickte, und da überfluteten mich wieder die Erinnerungen an die Ukraine, und zum ersten Mal seit Langem hatte ich wieder Lust, mich zu übergeben, meine Ohnmacht, meine Traurigkeit und mein nutzloses Leben auszukotzen. Zufällig begegnete ich dort Dr. Grell, einem Legationsrat, der von Feine beauftragt war, die ausländischen Juden herauszusuchen, die irrtümlicherweise vonder ungarischen Polizei verhaftet worden waren, vor allem die Juden aus verbündeten oder neutralen Ländern, und sie aus den Durchgangszentren zu holen und gegebenenfalls in ihre Heimatländer zurückzuschicken. Dieser arme Grell, ein »Gesichtsverletzter«, der entstellt war von einer Verwundung und entsetzlichen Verbrennungen und vor dem die erschrockenen Kinder schreiend davonliefen, watete im Schlamm von einer Gruppe zur anderen, das Wasser tropfte ihm vom Hut, und fragte höflich, ob Häftlinge mit ausländischen Pässen anwesend seien, prüfte die Dokumente und wies die ungarischen Gendarmen an, einige zur Seite zu nehmen. Er war ein rotes Tuch für Eichmann und seine Kameraden, die ihm Gefühlsduselei vorwarfen, mangelnde Urteilsfähigkeit, und tatsächlich kauften sich viele ungarische Juden für einige Tausend Pengő ausländische Pässe, mit Vorliebe rumänische, die am leichtesten zu beschaffen waren, aber Grell machte nur seine Arbeit, es war nicht seine Aufgabe festzustellen, ob diese Pässe legal erworben worden waren oder nicht, und wenn die rumänischen Attachés bestechlich waren, so war es das Problem der Behörden in Bukarest, nicht unseres, und wenn sie alle diese Juden aufnehmen oder dulden wollten, dann sollten sie doch. Ich kannte Grell flüchtig, weil ich in Budapest hin und wieder mit ihm etwas trinken oder essen ging; die deutschen Behördenvertreter gingen ihm fast alle aus dem Weg, sogar seine eigenen Kameraden, zweifellos wegen seines schrecklichen Aussehens, aber auch wegen seiner schweren und äußerst befremdlichen depressiven Anwandlungen; mich störte das weniger, vielleicht, weil seine Verwundung im Grunde der meinen sehr ähnlich war, auch er hatte einen Kopfschuss erhalten,

Weitere Kostenlose Bücher