Die Wohlgesinnten
Wasserbecken, überzog die Ziegelwand der Kommandantur mit einem leuchtenden fröhlichen Orangeton, und plötzlich hatte ich genug davon, ließ Höß dort stehen und kehrte in das Haus der Waffen-SS zurück, wo ich die Nacht damit verbrachte, einen schonungslosen Bericht über die Mängel des Lagers aufzusetzen. Einmal in Fahrt, schrieb ich einen weiteren über die ungarische Seite der Operation und zögerte in meinem Zorn nicht, Eichmanns Vorgehensweise Verschleppungstaktik zu nennen. (Die Verhandlungen mit den ungarischen Juden liefen schon seit zwei Monaten, das Angebot für die Lastwagen musste also schon einen Monat zurückliegen, denn mein Besuch in Auschwitz fand einige Tage vor der Landung in der Normandie statt; Becher beklagte sich seit Langem über Eichmanns mangelnde Kooperationsbereitschaft, uns beiden schien, dass er die Verhandlungen nur der Form halber führte.) Eichmann wird gänzlich von seiner organisatorischen Denkweise beherrscht , schrieb ich, er ist unfähig, komplexe Zielsetzungen zu verstehen und sie in seiner Vorgehensweise zu berücksichtigen . Und ich weiß aus sicherer Quelle, dass Pohl, nachdem ich diese Berichte über Brandt an den Reichsführer und ihn selbst direkt geschickt hatte, Eichmann ins WVHA kommenließ und ihn wegen des Zustands der Ankömmlinge und der unzumutbaren Zahl von Toten und Kranken scharf und unverblümt abkanzelte; doch Eichmann begnügte sich in seiner Verbohrtheit wieder mit dem Hinweis, dass dies in die Zuständigkeit der Ungarn falle. Gegen eine solche Indolenz ließ sich nichts ausrichten. Ich verfiel in eine Niedergeschlagenheit, die auch mein Organismus zu spüren bekam: Ich schlief schlecht, wurde von unangenehmen Träumen heimgesucht und drei- oder viermal in der Nacht von Durst oder Harndrang geweckt, was sich dann zur Schlaflosigkeit auswuchs; morgens wachte ich mit lähmender Migräne auf, die mich für die Dauer des ganzen Tages um meine Konzentrationsfähigkeit brachte und mich manchmal zwang, die Arbeit zu unterbrechen, um mich für eine Stunde mit einer kalten Kompresse auf der Stirn aufs Sofa zu legen. Doch so müde ich auch war – ich fürchtete die Rückkehr der Nacht: die Stunden der Schlaflosigkeit, in denen ich vergeblich mit meinen Problemen rang, oder die immer beklemmenderen Träume, ich weiß nicht, was mich mehr quälte. Hier einer der Träume, die mir besonders zu schaffen machten: Der Rabbiner von Bremen war nach Palästina ausgewandert. Als er aber hörte, dass die Deutschen Juden umbrachten, weigerte er sich, es zu glauben. Er begab sich zum deutschen Konsulat und beantragte ein Visum für das Reich, um sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, was an den Gerüchten dran war. Natürlich endete es für ihn schlimm. Szenenwechsel: Ich warte als Fachmann für jüdische Angelegenheiten auf eine Audienz beim Reichsführer, der ein paar Dinge von mir wissen wollte. Ich bin ziemlich nervös, es ist klar, dass ich ein toter Mann bin, wenn er mit meinen Antworten nicht zufrieden ist. Diese Szene spielt in einem großen düsteren Schloss. In einem der Räume treffe ich Himmler; er drückt mir die Hand, ein kleiner unauffälliger Mann, mit einem langen Mantel bekleidet und dem unvermeidlichen Kneifer mit den runden Gläsernauf der Nase. Dann führe ich ihn einen langen Flur entlang, dessen Wände mit Büchern bedeckt sind. Offenbar gehören diese Bücher mir, denn der Reichsführer scheint von der Bibliothek sehr beeindruckt und beglückwünscht mich. Dann befinden wir uns in einem anderen Raum und erörtern Dinge, die ihn interessieren. Später scheinen wir uns im Freien aufzuhalten, mitten in einer brennenden Stadt. Meine Angst vor Heinrich Himmler ist verflogen, ich fühle mich vollkommen sicher in seiner Gegenwart, habe jetzt aber Angst vor den Bomben und dem Feuer. Wir müssen den brennenden Hof eines Gebäudes im Laufschritt überqueren. Der Reichsführer nimmt mich bei der Hand: »Haben Sie Vertrauen zu mir! Was auch kommen mag, ich werde Sie nicht loslassen. Wir schaffen es gemeinsam oder gehen gemeinsam unter.« Ich begreife nicht, warum er das Jüdlein beschützen will, das ich bin, aber ich vertraue ihm, ich weiß, dass er es ehrlich meint, ich könnte sogar Liebe für diesen seltsamen Mann empfinden.
Trotzdem, ich muss euch von diesen viel zitierten Verhandlungen berichten. Ich habe nicht selbst an ihnen teilgenommen: Einmal traf ich Kastner mit Becher, als Becher eines dieser privaten Abkommen aushandelte, die Eichmann so
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