Die Wohlgesinnten
hätte, Pferde oder Lastwagen zu kaufen und zu befördern, statt Zehntausende todgeweihter Menschen zusammenzuziehen und zu evakuieren. Wenn ich zu ihm ging, um mit ihm privat über den Arbeitseinsatz zu sprechen, saß er hinter seinem Schreibtisch in seinem Luxusappartement im Hotel Majestic , hörte mir mit gelangweilt verzogenem Gesicht zu, spielte mit seiner Brille oder einem Druckbleistift, den er obsessiv klicken ließ, und bevor er antwortete, ordnete er die mit Notizen und kleinen Kritzeleien bedeckten Papiere neu, blies den Staub von seinem Schreibtisch, kratzte sich an seinem etwas kahlen Kopf, dann erst ließ er eine seiner langen Antworten vom Stapel, die so verschachtelt waren, dass er sich selbst darin verhedderte. Anfangs, als der Einsatz endlich begann, als die Ungarn Ende April ihr Einverständnis mit den Evakuierungen erklärt hatten, glühte er förmlich vor Begeisterung; gleichzeitig – und verstärkt, als sich die Probleme häuften – wurde er immer schwieriger, unnachgiebiger, selbst mit mir, den er doch schätzte, überall sah er jetzt Feinde. Winkelmann, der nur auf dem Papier sein Vorgesetzter war, konnte ihn nicht ausstehen, und doch hat ihn nach meiner Ansicht dieser grimmige und bärbeißige Polizist mit der von einer Ahnenreiheösterreichischer Bauern ererbten Schläue am besten beurteilt. Eichmanns Arroganz, die an Unverschämtheit grenzte, brachte Winkelmann zwar auf die Palme, hinderte ihn aber nicht, Eichmann zu durchschauen: »Er ist der typische Untertan«, erklärte er mir einmal, als ich ihn aufsuchte, um ihn zu fragen, ob er intervenieren oder zumindest Druck ausüben könnte, um die miserablen Transportbedingungen der Juden zu verbessern. »Er macht rückhaltlosen Gebrauch von seiner Autorität und kennt überhaupt keine moralischen oder geistigen Bedenken bei der Ausübung seiner Macht. Er hat auch nicht die geringsten Skrupel, die Grenzen seiner Befugnisse zu überschreiten, wenn er glaubt, im Sinne seiner Vorgesetzten zu handeln und von ihnen gedeckt zu sein, wie es Gruppenführer Müller und Obergruppenführer Kaltenbrunner ja tatsächlich tun.« Das war vermutlich absolut zutreffend, zumal Winkelmann Eichmanns Fähigkeiten nicht in Abrede stellte. Dieser wohnte damals nicht mehr im Hotel, sondern in der schönen Villa eines Juden in der Apostol-Straße auf dem Rosenberg, einem zweistöckigen Haus mit einem Turm, hoch über der Donau und von einem herrlichen Obstgarten umgeben, der jetzt leider von Luftschutzgräben verunstaltet wurde. Er lebte auf großem Fuß und verbrachte die meiste Zeit mit seinen neuen ungarischen Freunden. Die Evakuierungen waren bereits in großem Stil angelaufen, Zone für Zone nach einem sehr knappen Zeitplan, und die Klagen stürmten von allen Seiten ein, vom Jägerstab, von Speers Dienststellen, von Saur selbst, und sie gingen in alle Richtungen, an die Adresse Himmlers, Pohls, Kaltenbrunners, aber am Ende landeten sie alle bei mir, und es war in der Tat eine Katastrophe, ein echter Skandal, auf den Baustellen trafen nur zarte junge Mädchen oder bereits halb tote Männer ein, keine gesunden, kräftigen, an Arbeit gewohnte Burschen, wie es sich die Verantwortlichen erhofft hatten; sie waren außer sich, niemand begriff, was vor sich ging. EinTeil der Schuld traf, wie erwähnt, den Honvéd, der trotz aller Aufforderungen seine Arbeits-Bataillone nicht herausrückte. Doch auch unter denen, die übrig blieben, waren noch Männer, die bis vor Kurzem ein normales Leben geführt, sich satt gegessen hatten und sicherlich bei guter Gesundheit gewesen waren. Nun stellte sich aber heraus, dass die Verhältnisse an den Sammelpunkten, wo die Juden manchmal Tage oder Wochen fast gänzlich ohne Verpflegung warten mussten, bevor sie, in entsetzlich überfüllten Güterwaggons, ohne Wasser, ohne Essen, mit einem Toiletteneimer pro Waggon, weitertransportiert wurden, dass diese Verhältnisse an ihren Kräften zehrten und Krankheiten Vorschub leisteten, sodass viele unterwegs starben und jene, die ankamen, so heruntergekommen waren, dass nur wenige die Selektion überstanden, und selbst die wurden von den Unternehmen oder Baustellen abgelehnt oder rasch wieder zurückgeschickt, vor allem von den Verantwortlichen des Jägerstabs, die tobten, weil man ihnen Mädchen schickte, die keine Hacke heben konnten. Wenn ich Eichmann diese Klagen übermittelte, wies er sie, wie gesagt, schroff zurück, behauptete, dass er keine Schuld daran trage, dass nur die Ungarn etwas
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