Die Wohlgesinnten
einen Gefallen zu tun, ich gebe es zu, sondern in erster Linie, um für meine eigene geistige Hygiene zu sorgen, so wie man, wenn man zu viel gegessen hat, auch irgendwann die Abfälle loswerdenmuss, ob das nun gut riecht oder nicht, man hat nicht immer die Wahl; und dann habt ihr außerdem das absolute Machtmittel in Händen: Ihr könnt dieses Buch jederzeit zuklappen und in den Mülleimer werfen, ein letztes Mittel, gegen das ich nichts auszurichten vermag; also, warum sollte ich übertriebene Rücksicht nehmen. Wenn ich die Methode ein wenig ändere, so geschieht es, ich gebe es zu, vor allem meinetwegen, ob euch das passt oder nicht, noch ein Beweis für meinen grenzenlosen Egoismus, Ergebnis sicherlich meiner schlechten Erziehung. Ich hätte doch vielleicht etwas anderes machen sollen, haltet ihr mir entgegen, wohl wahr, ich hätte vielleicht etwas anderes machen sollen, mit Begeisterung hätte ich Musik gemacht, wenn ich zwei Noten hätte aneinanderreihen und einen G-Schlüssel erkennen können, aber gut, ich habe meine Grenzen auf diesem Gebiet bereits beschrieben, ich hätte auch Malerei betreiben können, warum nicht, die sieht mir durchaus nach einer angenehmen Beschäftigung aus, einer ruhigen Beschäftigung, sich so in Formen und Farben zu verlieren, aber was soll’s, in einem anderen Leben vielleicht, denn in diesem habe ich nie eine Wahl gehabt, ein klein wenig gewiss, einen bestimmten Spielraum, aber eingeschränkt, wegen des unnachsichtigen Schicksals, womit wir wieder an unserem Ausgangspunkt angekommen wären. Doch wenden wir uns lieber wieder Ungarn zu.
Über die Offiziere an Eichmanns Seite gibt es nicht viel zu sagen. Das waren größtenteils friedfertige Männer, brave Bürger in Erfüllung ihrer Pflicht, stolz und glücklich, SS-Uniformen tragen zu dürfen, aber übervorsichtig, kaum zur Initiative fähig, stets mit einem »ja … aber« zur Hand und von grenzenloser Bewunderung für ihren Chef erfüllt, dieses großartige Genie. Der Einzige, der etwas von ihnen abstach, war Wisliceny, ein Preuße meines Alters, der sehr gut Englisch sprach und über ausgezeichnete Geschichtskenntnisse verfügte; mit ihm unterhielt ich mich gern an den Abenden überden Dreißigjährigen Krieg, die Wende von 1848 oder auch das moralische Versagen der Wilhelminischen Epoche. Seine Ansichten waren nicht immer originell, aber er wusste sie stets gut zu belegen und zu einer zusammenhängenden Erzählung zu verflechten, was die wichtigste Eigenschaft der historischen Vorstellungskraft ist. Früher war er Eichmanns Vorgesetzter gewesen, 1936, glaube ich, auf jeden Fall zur Zeit des SD-Hauptamts, als das Referat für Judenfragen noch Abteilung II 112 hieß; doch infolge seiner Faulheit und Trägheit sah er sich rasch von seinem Schüler überholt, was er diesem aber nicht nachtrug – sie waren gute Freunde geblieben, Wisliceny war ein enger Vertrauter der Familie, und sie duzten sich sogar in der Öffentlichkeit. (Etwas später zerstritten sie sich aus Gründen, die ich nicht kenne. Als Belastungszeuge in Nürnberg hat Wisliceny ein Porträt seines ehemaligen Kameraden gezeichnet, das lange Zeit dazu beitrug, das Bild zu verzerren, das sich Historiker und Schriftsteller von Eichmann machten, wobei einige sich sogar ernsthaft zu der Behauptung verstiegen, dieser armselige Obersturmbannführer habe Adolf Hitler Befehle erteilt. Man kann Wisliceny keinen Vorwurf daraus machen: Er wollte seine Haut retten, und Eichmann war schließlich verschwunden, damals war es üblich, den Abwesenden die Schuld in die Schuhe zu schieben, was dem armen Wisliceny allerdings nichts genützt hat; er endete an einem Strick in Pressburg, dem Bratislava der Slowaken, und dieser Strick muss recht kräftig gewesen sein, bei seiner Leibesfülle.) Ein anderer Grund, warum ich Wisliceny mochte, lag darin, dass er nie den Kopf verlor, im Unterschied zu anderen, vor allem den Bürokraten aus Berlin, die zum ersten Mal in ihrem Leben zu einem Einsatz entsandt worden waren und die angesichts ihrer plötzlichen Macht über diese jüdischen Würdenträger, gebildete und manchmal doppelt so alte Männer, jedes Maß verloren. Einige beleidigten die Juden auf die ungehörigsteund flegelhafteste Weise; andere konnten der Versuchung, ihr Amt zu missbrauchen, kaum widerstehen; alle trugen eine unerträgliche und in meinen Augen völlig deplatzierte Arroganz zur Schau. Ich erinnere mich beispielsweise an Hunsche, einen Regierungsrat, also einen Beamten,
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