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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Gleich zu Gleich begegnete, unter vollkommener Missachtung des eigenen Lebens, was seine Position uns gegenüber stärkte: Niemand konnte ihm Angst machen (es hatte Versuche gegeben, er war mehrfach verhaftet worden, von der Sipo wie auch von den Ungarn). Ohne auf Bechers Aufforderung zu warten, setzte er sich, entnahm einem silbernen Zigarettenetui eine parfümierte Zigarette und zündete sie sich an, ohne uns um Erlaubnis zu bitten oder uns eine anzubieten. Eichmann zeigte sich sehr beeindruckt von seiner Kaltblütigkeit und weltanschaulichen Kompromisslosigkeit und meinte, wenn Kastner ein Deutscher gewesen wäre, hätte er einen hervorragenden Offizier der Geheimen Staatspolizei abgegeben, was er vermutlich für das größte überhaupt mögliche Kompliment hielt. »Dieser Kastner denkt wie wir«, sagte er eines Tages zu mir. »All sein Sinnen und Trachten gilt nur seiner Rasse, er ist bereit, alle Alten zu opfern, um die Jungen, die Starken und die gebärfähigen Frauen zu retten. Er denkt an die Zukunft seiner Rasse. Ich habe zu ihm gesagt: ›Wenn ich Jude gewesen wäre, wäre ich Zionist, ein fanatischer Zionist wie Sie.‹« Das Wiener Angebot interessierte Kastner: Er war bereit, Geld zu investieren, wenn die Sicherheit der entsandten Juden garantiert werden würde. Ich überbrachte Eichmann dieses Angebot, der äußerst erregt über Joel Brandts Verschwinden war und weil er keine Antwort wegen der Lastwagen hatte. Währenddessen kochte Becher sein eigenes Süppchen: Er evakuierte Juden in kleinen Gruppen, vor allem über Rumänien, natürlich gegen Geld, Gold und Waren; Eichmann war außer sich vor Wut, er befahl Kastner sogar, nicht mehr mit Becher zu sprechen; selbstverständlich kümmerte sich Kastner nicht darum, Becherermöglichte übrigens auch Kastners Familie die Ausreise. Empört berichtete Eichmann mir, Becher habe ihm ein Goldcollier gezeigt, das er dem Reichsführer für dessen Geliebte schenken wolle, eine Sekretärin, mit der er ein Kind habe: »Becher hat die Gunst des Reichsführers, ich weiß nicht, was ich machen soll«, stöhnte er. Am Ende brachten meine Winkelzüge doch noch einen gewissen Erfolg: Eichmann erhielt 65 000 Reichsmark und etwas ranzigen Kaffee, was er für eine Anzahlung auf die fünf Millionen Schweizer Franken hielt, die er verlangt hatte, und achtzehntausend junge Juden fuhren zum Arbeitseinsatz nach Wien. Stolz erstattete ich dem Reichsführer Bericht, erhielt aber keine Antwort. Auf jeden Fall ging der Einsatz bereits seinem Ende zu, nur wussten wir es noch nicht. Horthy, offenbar erschrocken über die Sendungen der BBC und die diplomatischen Depeschen aus Amerika, die die Geheimdienste abgefangen hatten, hatte Winkelmann einbestellt, um ihn zu fragen, was mit den evakuierten Juden geschehe, schließlich seien sie auch weiterhin ungarische Bürger; Winkelmann, der nicht wusste, was er antworten sollte, hatte seinerseits Eichmann zu sich zitiert. Dieser erzählte uns diese Episode, die er erheiternd fand, eines Abends in der Bar des Majestic ; Wisliceny war dabei, Krumey und Trenker, der KdS von Budapest, ein umgänglicher Österreicher und Freund Höttls. »Ich habe ihm geantwortet: Wir schicken sie arbeiten«, berichtete Eichmann lachend. »Daraufhin hat er mich nichts mehr gefragt.« Doch Horthy gab sich mit dieser etwas ausweichenden Antwort keineswegs zufrieden: Am 30. Juni vertagte er die für den folgenden Tag vorgesehene Evakuierung von Budapest; einige Tage später untersagte er sie ganz. Eichmann gelang es zwar noch trotz des Verbots, Kistarcsa und Szarva zu räumen: Doch das war bloß eine Geste, um sein Gesicht zu wahren. Die Evakuierungen waren beendet. Es gab noch einige Zwischenfälle: Horthy stellte Endre und Baky kalt,sah sich aber auf deutschen Druck hin gezwungen, sie wieder einzusetzen; noch später, Ende August, tauschte er Sztójay gegen Lakatos aus, einen konservativen General. Zu dem Zeitpunkt war ich aber schon lange nicht mehr dort: Krank und erschöpft war ich nach Berlin zurückgekehrt, wo ich endgültig zusammenklappte. Eichmann und seinen Kameraden war es gelungen, vierhunderttausend Juden zu evakuieren; von ihnen konnten kaum fünfzigtausend (zuzüglich der achtzehntausend für Wien) in der Industrie eingesetzt werden. Ich war am Boden zerstört, entsetzt über so viel Unfähigkeit, Quertreiberei und Böswilligkeit. Eichmann ging es übrigens nicht viel besser als mir. Anfang Juli, kurz vor meiner Abreise, sah ich ihn ein letztes Mal in

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