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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Freund von ihm war: Er hat wirklich geglaubt, die Motorisierung dieser Divisionen sei das Ziel, und auch wenn es ihm gegen den Strich ging, so viele Juden laufen zu lassen , so wollte er seinem Freund Zehender doch helfen. Als hätten ein paar Lastwagen etwasam Verlauf des Krieges verändern können. Wie viele Lastwagen, Panzer oder Flugzeuge hätten eine Million Juden bauen können, wenn wir jemals eine Million Juden in den Lagern gehabt hätten? Die Zionisten, allen voran Kastner, haben vermutlich sofort begriffen, dass es sich um einen Köder handelte, allerdings einen, der auch ihren Interessen dienen konnte, mit dem sich Zeit gewinnen ließ. Das waren kluge, realistische Männer, die sicherlich genauso gut wie der Reichsführer wussten, dass nicht nur kein feindliches Land bereit gewesen wäre, Deutschland zehntausend Lastwagen zu liefern, sondern dass darüber hinaus, selbst zu diesem Zeitpunkt, kein Land eine Million Juden aufgenommen hätte. Für mich war die nähere Bestimmung, dass die Lastwagen nicht im Westen eingesetzt werden dürften, ein Indiz für die Beteiligung Schellenbergs. Wie Thomas mir zu verstehen gegeben hatte, gab es für Schellenberg nur noch eine Lösung: das widernatürliche Bündnis zwischen den kapitalistischen Demokratien und den Stalinisten zu sprengen und ganz auf die Karte Festung Europa gegen den Bolschewismus zu setzen. Übrigens hat ja die Nachkriegsgeschichte zur Genüge bewiesen, dass er vollkommen Recht gehabt hat und seiner Zeit nur voraus war. Der Lastwagen-Plan verfolgte möglicherweise mehrere Ziele. Schließlich wusste man ja nie, Wunder konnten immer geschehen, vielleicht würden ja die Juden und die Alliierten auf den Handel eingehen, und dann wäre es ein Leichtes gewesen, mittels dieser Lastwagen Zwietracht zwischen den Russen einerseits und den Engländern und Amerikanern andererseits zu säen, ja vielleicht sogar einen Bruch zwischen ihnen herbeizuführen. Möglicherweise träumte Himmler davon; doch Schellenberg war viel zu sehr Realist, als dass er seine Hoffnungen auf diese Variante gesetzt hätte. Für ihn muss die Angelegenheit viel einfacher gewesen sein, ihm ging es darum, über die Juden, die immer noch einen gewissen Einfluss hatten, ein diplomatisches Zeichenzu geben, dass Deutschland bereit sei, über alles zu reden, über einen Separatfrieden oder über die Einstellung des Vernichtungsprogramms, um dann zu sehen, wie die Engländer und Amerikaner reagierten, und gegebenenfalls andere Vorgehensweisen zu wählen: im Grunde genommen ein Versuchsballon. Die Engländer und Amerikaner haben es, nebenbei bemerkt, gleich richtig verstanden, wie ihre Reaktion zeigt: Der Vorschlag wurde in ihren Zeitungen veröffentlicht und angeprangert. Möglich auch, dass Himmler gedacht hat, wenn die Alliierten das Angebot zurückwiesen, würde das zeigen, dass ihnen das Leben der Juden egal sei oder dass sie unsere Maßnahmen insgeheim sogar billigten; auf jeden Fall würde ihnen damit ein Teil der Verantwortung zugewiesen, es würde sie verstricken , wie Himmler bereits die Gauleiter und die anderen Würdenträger des Regimes verstrickt hatte. Wie dem auch sei, Schellenberg und Himmler gaben nicht auf: Bekanntlich dauerten die Verhandlungen bis zum Kriegsende fort, immer mit den Juden als Einsatz; Becher gelang es sogar dank jüdischer Vermittlung, McClellan, Roosevelts Mann, in der Schweiz zu treffen, ein Verstoß der Amerikaner gegen die Abkommen von Teheran, doch das Treffen führte für ihn zu nichts. Ich hatte damit schon lange nichts mehr zu tun: Von Zeit zu Zeit hörte ich von Thomas oder Eichmann Gerüchte, das war alles. Selbst in Ungarn war meine Rolle marginal, wie schon erläutert. Für diese Verhandlungen habe ich mich vor allem nach meinem Besuch in Auschwitz interessiert, zu der Zeit, als die Engländer und Amerikaner Anfang Juni in der Normandie landeten. Der Bürgermeister von Wien, der (Ehren-)Brigadeführer Blaschke, hatte Kaltenbrunner gebeten, ihm Arbeitsjuden für seine Fabriken zu schicken, da er dringend Arbeiter benötige; und ich sah darin eine Chance, die Verhandlungen mit Eichmann voranzubringen – man konnte sich überlegen, diese nach Wien geschickten Juden als auf Eis gelegt zu betrachten – und zugleichArbeitskräfte zu erhalten. Ich bemühte mich also, die Verhandlungen in diese Richtung zu lenken. Etwa zu dieser Zeit machte Becher mich mit Kastner bekannt, einer eindrucksvollen Persönlichkeit, stets von erlesener Eleganz, der uns von

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