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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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empörten. Mich interessierten sie aber sehr, da einer der Vorschläge darin bestand, eine gewisse Zahl der Juden auf Eis zu legen , das heißt, sie ohne Umweg über Auschwitz direkt in den Arbeitseinsatz zu schicken, was mir sehr gut in den Kram gepasst hätte. Becher war der Sohn eines Geschäftsmannes aus bester Hamburger Gesellschaft, ein Pferdenarr, der in der Reiter-SS als Offizier gelandet war und sich im Osten mehrfach ausgezeichnet hatte, vor allem Anfang 1943 an der Donfront, wofür er das Deutsche Kreuz in Gold erhielt; anschließend nahm er wichtige organisatorische Aufgaben im SS-Führungshauptamt, dem FHA, wahr, das die gesamte Waffen-SS überwachte. Nachdem er sich die Manfred-Weiss-Werke unter den Nagel gerissen hatte – er hat mir das nie erzählt,ich weiß nur aus Büchern, wie es gewesen ist, aber mir scheint, dass das alles zufällig begonnen hatte –, befahl ihm der Reichsführer, die Verhandlungen mit den Juden fortzuführen, wobei er Eichmann gleichzeitig ähnliche Anweisungen gab, vermutlich absichtlich, um sie unter Konkurrenzdruck zu setzen. Und Becher konnte viel versprechen, er hatte das Ohr des Reichsführers, war aber im Grunde nicht für die Judenangelegenheiten verantwortlich und hatte keinerlei direkten Einfluss in diesen Fragen, noch weniger als ich. Es waren noch alle möglichen anderen Leute in diese Affäre verwickelt: eine Gruppe lärmender undisziplinierter Burschen von Schellenberg, teilweise Angehörige des ehemaligen Amtes VI, wie Höttl, der sich Klages nennen ließ und später ein Buch unter einem weiteren Namen veröffentlichte, andere von Canaris’ Abwehr, Gefrorener (alias Dr. Schmidt), Durst (alias Winniger), Läufer (alias Schröder), aber vielleicht verwechsle ich auch die Namen und Pseudonyme, da war auch noch dieser unausstehliche Paul Karl Schmidt, der künftige Paul Carell, von dem bereits die Rede war und den ich meiner Meinung nach nicht mit Gefrorener alias Dr. Schmidt verwechsle, aber da bin ich mir nicht sicher. Und die Juden gaben all diesen Leuten Geld und Schmuck, und alle bedienten sich, im Namen ihrer Dienste beziehungsweise für sich selbst, wer weiß; Gefrorener und seine Kameraden, die Joel Brandt im März in Haft nahmen, um ihn vor Eichmann zu »schützen«, hatten mehrere Tausend Dollar von ihm verlangt, um ihn mit Wisliceny zusammenzubringen, und anschließend haben Wisliceny, Krumey und Hunsche viel Geld von ihm bekommen, bevor überhaupt von Lastwagen die Rede war. Brandt habe ich nie getroffen, Eichmann hat mit ihm verhandelt, dann hat er sich ziemlich rasch nach Istanbul abgesetzt und ist nie zurückgekehrt. Im Majestic habe ich einmal seine Frau mit Kastner gesehen, ein junges Geschöpf von ausgesprochen jüdischem Typus, nicht eigentlich schön,aber sehr ausdrucksvoll, Kastner hat sie mir als Brandts Frau vorgestellt. Unklar ist, wer eigentlich die Idee mit den Lastwagen gehabt hat, Becher hat behauptet, er sei es gewesen, aber ich bin überzeugt, dass es Schellenberg war, der sie dem Reichsführer eingegeben hat, oder wenn es doch Bechers Idee gewesen sein sollte, dann hat Schellenberg sie weiterentwickelt, jedenfalls war es Anfang April, als der Reichsführer Becher und Eichmann nach Berlin rief (das hat mir Becher erzählt, nicht Eichmann) und Eichmann den Befehl gab, die 8. und die 22. SS-Kavallerie-Division mit rund zehntausend von den Juden zu beschaffenden Lastwagen zu motorisieren. Das ist also die berüchtigte Geschichte jenes Plans, den man Blut gegen Ware genannt hat, zehntausend Lastwagen mit Winterausstattung gegen eine Million Juden, ein Plan, um dessentwillen schon viel Tinte vergossen wurde und noch vergossen werden wird. Ich habe dem Gesagten nicht viel hinzuzufügen: Die Hauptbeteiligten – Becher, Eichmann, das Gespann Brandt und Kastner – haben alle den Krieg überlebt und diese Geschichte bezeugt (doch der arme Kastner wurde 1957, drei Jahre vor Eichmanns Verhaftung, von jüdischen Extremisten in Tel Aviv ermordet – wegen seiner »Kollaboration« mit uns, welch traurige Ironie). Eine der Klauseln des den Juden unterbreiteten Vorschlags legte fest, dass die Lastwagen nur an der Ostfront, gegen die Sowjets, eingesetzt werden sollten, nicht gegen die Westmächte; und diese Lastwagen hätten natürlich nur von amerikanischen Juden kommen können. Ich bin überzeugt, dass Eichmann diesen Vorschlag für bare Münze genommen hat, umso mehr als der Kommandeur der 22. Division, SS-Brigadeführer August Zehender, ein guter

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