Die Wohlgesinnten
seiner Dienststelle: Er war gleichzeitig voller Überschwang und Zweifel. »Ungarn, Obersturmbannführer, ist mein Meisterstück. Selbst wenn wir jetzt abbrechen müssen. Wissen Sie, wie viele Länder ich schon von Juden befreit habe? Frankreich, Holland, Belgien, Griechenland, einen Teil Italiens, Kroatiens. Deutschland natürlich auch, aber das war einfach, da ging es nur um die technischen Fragen des Transports. Mein einziger Misserfolg war Dänemark. Doch bei Licht besehen, habe ich Kastner mehr Juden gegeben, als ich in Dänemark habe entwischen lassen. Was sind das schon, tausend Juden? Kleinkram. Ich bin sicher, davon werden sich die Juden nie wieder erholen. Hier war es wunderbar, die Ungarn haben sie uns wie Sauerbier angeboten, wir konnten gar nicht schnell genug nachkommen. Schade, dass wir Schluss machen mussten, vielleicht können wir ja eines Tages weitermachen.« Ich hörte zu, ohne etwas zu sagen. Schlimmer als sonst durchzuckten die Tics sein Gesicht, er rieb sich die Nase, verdrehte den Hals. Trotz seiner von Stolz erfüllten Worte wirkte er sehr niedergeschlagen. Unvermittelt fragte er mich: »Und was mache ich bei alldem? Was wird aus mir? Aus meiner Familie?« Einige Tage zuvor hatte das RSHA einen Funkspruchaus New York abgefangen, der die Zahl der in Auschwitz getöteten Juden wiedergab, Zahlen, die der Wahrheit sehr nahe kamen. Eichmann musste davon wissen, wie er auch wissen musste, dass sein Name auf den Listen unserer Feinde stand. »Wollen Sie meine ehrliche Meinung hören?«, fragte ich behutsam. »Ja«, erwiderte Eichmann. »Sie wissen, dass ich Ihre Ansichten trotz unserer Meinungsverschiedenheiten immer geschätzt habe.« – »Nun denn, wenn wir den Krieg verlieren, sind Sie erledigt.« Er hob den Kopf: »Das weiß ich. Ich rechne nicht damit, zu überleben. Wenn wir besiegt werden, schieß ich mir eine Kugel in den Kopf, stolz, meine Pflicht als SS-Mann getan zu haben. Aber wenn wir nicht verlieren?« – »Wenn wir nicht verlieren«, sagte ich noch behutsamer, »müssen Sie sich weiterentwickeln. Sie können nicht ewig so weitermachen. Das Nachkriegsdeutschland wird anders sein, viele Dinge werden sich ändern, es wird neue Aufgaben geben. Auf die müssen Sie sich einstellen.« Eichmann schwieg, und ich verabschiedete mich, um ins Astoria zurückzukehren. Zur Schlaflosigkeit und Migräne gesellten sich jetzt auch noch starke Fieberschübe, die verschwanden, wie sie gekommen waren. Was mich vollends deprimierte, war der Besuch der beiden Bulldoggen Clemens und Weser, die unangemeldet in meinem Hotel auftauchten. »Was machen Sie denn hier?«, rief ich aus. »Na, was wohl, Obersturmbannführer«, sagte Weser oder vielleicht auch Clemens, ich weiß nicht mehr genau, »wir möchten mit Ihnen reden.« – »Aber was gibt es noch zu reden?«, fragte ich aufgebracht. »Der Fall ist abgeschlossen.« – »Ich denke nicht«, sagte Clemens. Beide hatten ihre Hüte abgenommen und unaufgefordert Platz genommen, Clemens auf einem Rokokostuhl, der viel zu klein für seine Körperfülle war, Weser hockte auf einem langen Sofa. »Sie stehen nicht unter Verdacht, na gut, das akzeptieren wir ohne Vorbehalte. Deswegen gehen aber doch die Ermittlungen in diesem Mordfall weiter. Beispielsweise suchen wirnoch immer nach Ihrer Schwester und den Zwillingen.« – »Stellen Sie sich vor, Obersturmbannführer, die Franzosen haben uns die Etiketten aus den Kleidungsstücken geschickt, die sie gefunden haben, erinnern Sie sich? Im Badezimmer. Dank ihrer haben wir die Spur bis zu einem bekannten Schneider zurückverfolgen können, einem gewissen Pfab. Haben Sie schon einmal Anzüge bei Herrn Pfab machen lassen, Obersturmbannführer?« Ich lächelte: »Natürlich. Er ist einer der besten Schneider Berlins. Aber ich warne Sie: Wenn Sie weiter gegen mich ermitteln, werde ich den Reichsführer ersuchen, Sie wegen Insubordination zu suspendieren.« – »Oh!«, rief Weser aus. »Sie brauchen uns nicht zu drohen, Obersturmbannführer. Wir haben nichts gegen Sie. Wir möchten Sie nur weiterhin als Zeugen befragen.« – »Genau das«, ließ sich Clemens’ grobes Organ vernehmen, »als Zeugen.« Er reichte Weser sein Notizbuch, der darin blätterte und es ihm dann zurückgab, wobei er auf eine Seite deutete. Clemens las, gab seinerseits das Notizbuch wieder an Weser. »Die französische Polizei«, flüsterte dieser, »hat das Testament des verstorbenen Herrn Moreau gefunden. Um Sie gleich zu beruhigen: Sie sind im
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