Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
Vom Netzwerk:
Exekution zu. Von Roques, Befehlshaber des Rückwärtigen Heeresgebietes Süd, hatte für den Fall, dass die Urheber von Sabotageakten nicht zweifelsfrei ermittelt werden konnten, angeordnet, Vergeltungsmaßnahmen an Juden oder Russen vorzunehmen, da es nicht angehe, alles den Ukrainern anzulasten: Wir müssen den Eindruck vermitteln, dass wir gerecht sind. Natürlich billigten nicht alle Offiziere der Wehrmacht diese Maßnahmen, besonders den älteren Offizieren fehlte es noch, laut Rasch, an dem nötigen Verständnis. Die Einsatzgruppe hatte auch Probleme mit gewissen Dulag-Kommandanten, die uns die Kommissare und jüdischen Kriegsgefangenen nicht ohne weiteres ausliefern wollten. Aber von Reichenau war bekannt dafür, dass er die Sipo nach Kräften unterstützte. Gelegentlich übertraf uns die Wehrmacht sogar noch an Eifer. Ein Divisionsstab wollte in einem Dorf Stellung beziehen, aber es fehlte an Unterkünften: »Da sind noch Juden«, ließ uns der Chef des Stabes wissen. Und das AOK unterstützte seinen Antrag, wir mussten alle männlichen Juden des Dorfes erschießen und die Frauen und Kinder in einigen Häusern zusammenfassen, um Unterkünfte für die Offiziere zu schaffen. Im Bericht wurdedas als Vergeltungsaktion dargestellt. Eine andere Division ging sogar so weit, uns zu bitten, die Patienten einer Nervenklinik zu liquidieren, in der sie Unterkunft beziehen wollte; verärgert erwiderte der Gruppenstab, dass die Männer der Staatspolizei nicht die Schlächter der Wehrmacht seien : »Eine solche Aktion dient nicht im Mindesten den Interessen der Sipo. Machen Sie es selbst.« (Ein anderes Mal aber ließ Rasch die Insassen einer Nervenheilanstalt erschießen, weil alle Wärter und Krankenschwestern geflohen waren und nach seiner Einschätzung die Kranken ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten, wenn sie die Gelegenheit zur Flucht ergreifen würden.) Im Übrigen hatte es den Anschein, als sollten sich die Dinge in Bälde zuspitzen. Aus Galizien erreichten uns Gerüchte, die von neuen Methoden sprachen; Jeckeln hatte offenbar erhebliche Verstärkung erhalten und nahm Durchkämmungsaktionen vor, die sehr viel weiter gingen als alles, was bisher unternommen wurde. Callsen, von einem Auftrag in Tarnopol zurück, hatte andeutungsweise von einer neuen Ölsardinenmanier berichtet, wollte sich aber nicht genauer darüber auslassen, sodass niemand so richtig verstand, wovon er sprach. Und dann war Blobel zurückgekommen. Er galt als geheilt und schien tatsächlich weniger zu trinken, war aber immer noch so unleidlich wie zuvor. Ich verbrachte jetzt den größten Teil meiner Zeit in Shitomir. Auch Thomas war dort, und ich sah ihn fast jeden Tag. Es war sehr warm. In den Obstgärten bogen sich die Äste unter dem Gewicht der Zwetschen und Aprikosen; auf den Eigenlandparzellen am Rande des Dorfes sah man massige Riesenkürbisse, einige bereits vertrocknete Maiskolben, vereinzelte Reihen Sonnenblumen, welche die Köpfe bis zum Boden hängen ließen. Wenn Thomas und ich frei hatten, verließen wir die Stadt, um auf dem Teterew Boot zu fahren und zu schwimmen; anschließend lagen wir unter Apfelbäumen, tranken schlechten Weißwein aus Weißrussland und aßeneinen reifen Apfel, nach dem man im Gras nur die Hand auszustrecken brauchte. Damals gab es noch keine Partisanen in der Gegend, alles war ruhig. Manchmal lasen wir uns wie Studenten aus irgendwelchen Büchern merkwürdige oder amüsante Stellen vor. Thomas hatte eine französische Broschüre des Institut d’études des questions juives aufgetrieben. »Hör dir diese umwerfende Prosa an. Aus dem Artikel Biologie und Kollaboration eines gewissen Charles Laville. Hier: Eine Politik muss biologisch sein oder gar nicht. Oder noch besser: Wollen wir ein primitiver Polypenstock bleiben? Oder wollen wir uns vielmehr zu einem höheren Organisations-stadium fortentwickeln? « Er las Französisch mit einem fast singenden Akzent. »Und die Antwort: Zellzusammenschlüsse von Elementen mit komplementären Tendenzen sind jene, welche die Entstehung höherer Tiere, einschließlich des Menschen, ermöglicht haben. Würden wir nun den Zusammenschluss verweigern, der sich uns bietet, wäre das in gewisser Weise ebenso sehr ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie gegen die Biologie. « Ich für meinen Teil las lieber Stendhals Briefwechsel. Eines Tages luden uns Pioniere zu einem Ausflug in ihrem Sturmboot ein; Thomas, der schon etwas angetrunken war, hatte sich eine Kiste mit

Weitere Kostenlose Bücher