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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Uhren, die Ringe, das Geld, während doch alles beim Kommandostab abgeliefert werden musste, um nach Deutschland geschickt zu werden. Bei den Aktionen waren die Offiziere angewiesen, die Orpos, die Waffen-SS-Männer, die Askaris zu überwachen, um sicherzustellen, dass sie nichts entwendeten. Aber selbst die Offiziere eigneten sich Wertsachen an. Und dann tranken sie, was auf Kosten der Disziplin ging. Eines Abends, wir hatten uns in einem Dorf einquartiert, brachte Bohr zwei ukrainische Bauernmädchen in die Unterkunft und Wodka. Zorn, Müller und er tranken mit den Mädchen, begannen sie zu betatschen, schoben ihnen die Hände unter die Röcke. Ich saß auf meinem Bett und versuchte zu lesen. Bohr rief mir zu: »Kommen Sie, nutzen Sie die Gelegenheit!« – »Nein, danke.« Die Kleidung des einen Mädchens war aufgeknöpft, sie war halbnackt, ihre wabbeligen Brüste hingen herab. Die primitive Geilheit, das fette Fleisch stießen mich ab, aber ich konnte mich nirgendwohin zurückziehen. »Sie sind ’ne trübe Tasse, Doktor!«, warf Bohr mir vor. Ich betrachtete sie wie mit Röntgenaugen: Unter dem Fleisch erkannte ich deutlich die Skelette; als Zorn eines der Mädchen umschlang, war es, als ob die Knochen, durch einen dünnen Schleier getrennt, aneinanderschlügen; als sie lachten, drang der schollernde Laut zwischen den Kieferknochen des Schädels hervor; morgen würden sie schon alt sein, die Mädchen fett oder umgekehrt, ihre Haut faltig und um die Knochen schlackernd, die Brüste trocken wie leere Schläuche herunterbaumelnd, und dann würden auch Bohr und Zorn und diese Mädchen sterben und unter der kalten, der sanften Erde liegen, ganz wie die Juden, die in der Blüte ihrer Jahre dahingerafft wurden, das Lachen in den mit Erde gefüllten Mündern verstummt, wozu also diese traurigen Ausschweifungen? Wenn ich Zorn diese Frage gestellt hätte, wusste ich, hätte er mirgeantwortet: »Um noch mal auf den Putz zu hauen, bevor ich krepier, um noch ein bisschen Spaß zu haben«, aber es war nicht der Spaß, der mich störte, auch ich hatte meinen Spaß, wenn mir danach zumute war, nein, es war wohl eher ihr erschreckender Mangel an Bewusstsein, diese erstaunliche Art, nie über die Dinge nachzudenken, weder die guten noch die schlechten, sich einfach dem Gang der Ereignisse zu überlassen, zu töten, ohne zu begreifen, warum, vollkommen unbedenklich, die Frauen zu betatschen, nur weil es denen gefiel, und zu trinken, ohne den Wunsch zu verspüren, das Fleisch zu erlösen. Das war es, was ich nicht verstand, aber niemand verlangte von mir, es zu verstehen.
     
    Anfang August nahm das Sonderkommando eine erste Säuberung von Shitomir vor. Nach unseren statistischen Unterlagen lebten dort vor dem Krieg dreißigtausend Juden; doch die meisten waren mit der Roten Armee geflohen, es waren nicht mehr als fünftausend geblieben, neun Prozent der gegenwärtigen Bevölkerung. Rasch hatte entschieden, dass das noch zu viel war. General Reinhardt, der Kommandeur der 99. Division, stellte uns Soldaten für die Durchkämmung zur Verfügung, ein hübsches deutsches Wort, für das mir keine französische Übersetzung einfällt. Alle waren ein wenig mit den Nerven herunter: Am 1. August war Galizien dem Generalgouvernement eingegliedert worden, woraufhin die Einheiten des Bataillons »Nachtigall« bis Winniza und Tiraspol meuterten. Wir mussten bei unseren Hilfstruppen alle Offiziere und Unteroffiziere der OUN-B aussondern und festsetzen und mit den Offizieren von »Nachtigall« Bandera nach Sachsenhausen hinterherschicken. Fortan galt es, die Verbliebenen im Auge zu behalten, sie waren nicht alle zuverlässig. In Shitomir selbst hatten die Banderisten zwei vonMelnyks Leuten ermordet, die wir als Beamte eingesetzt hatten; zuerst hatten wir die Kommunisten in Verdacht gehabt; dann erschossen wir alle Parteigänger der OUN-B, deren wir habhaft werden konnten. Glücklicherweise erwiesen sich die Beziehungen zur Wehrmacht als ausgezeichnet. Die Teilnehmer des Polenfeldzugs zeigten sich davon überrascht; sie hatten bestenfalls mit einer feindseligen Übereinkunft gerechnet, doch unsere Beziehungen zu den Generalstäben gestalteten sich ausgesprochen herzlich. Sehr häufig ergriff die Armee jetzt die Initiative bei den Aktionen, sie forderte uns auf, in den Dörfern, in denen es Sabotageakte gegeben hatte, die Juden als Partisanen oder im Rahmen von Vergeltungsaktionen zu liquidieren, und sie führten uns Juden und Zigeuner zur

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