Die Wohlgesinnten
nutzlos zu schaffen, und ich merkte, dass diese Männer in Panik waren, dass ihnen der Sinn für Maß und Disziplin abhandenkam. Wie immer war bis zur letzten Minute gewartet worden, um alles zu erledigen, denn früher zu handeln hätte als Defätismus gegolten; jetzt saßen uns die Russen im Nacken, und die Wachen in Auschwitz erinnerten sich an das Schicksal der SS-Männer, die im Lager von Lublin den Russen in die Hände gefallen waren, darüber vergaßen sie alle Pflichten und wollten nur noch eines: fliehen. Deprimiert suchte ich Drescher in seinem Dienstzimmer im Stammlager auf. Auch er verbrannte Unterlagen. »Haben Sie gesehen, wie geplündert wird?«, fragte er mich, in seinen Bart lachend. Aus einer Schublade holte er einen teuren Armagnac hervor: »Was sagen Sie dazu? Ein Untersturmführer, hinter dem ich seit vier Monaten her war, den ich aber nicht erwischt habe, hat ihn mir zum Abschied geschenkt, der Schweinehund. Er hat ihn natürlich geklaut. Trinken Sie einen Schluck mit mir?« Er schenkte uns einen Doppelten in Wassergläser ein: »Entschuldigung, aber ich habe nichts Besseres.« Er hob sein Glas, und ich tat es ihm nach. »Wie wär’s mit einem Trinkspruch?«, sagte er. Aber mir fiel keiner ein. Er zuckte die Achseln: »Mir auch nicht. Dann trinken wir eben so.« DerArmagnac war ausgezeichnet, ein leichtes aromatisches Brennen. »Wohin gehen Sie?«, fragte ich. »Nach Oranienburg, Bericht erstatten. Ich habe Material bei mir, das für elf weitere Anklagen reicht. Danach sollen sie mich hinschicken, wohin sie wollen.« Als ich aufbrechen wollte, reichte er mir die Flasche: »Hier, behalten Sie sie. Sie werden sie nötiger brauchen als ich.« Ich steckte sie mir in die Manteltasche, schüttelte ihm die Hand und ging. Ich kam am HKB vorbei, wo Wirths die Evakuierung des medizinischen Materials beaufsichtigte. Ich berichtete ihm von dem Problem mit der warmen Bekleidung. »Die Kleiderkammern sind voll«, versicherte er mir. »Es dürfte nicht allzu schwierig sein, Decken, Stiefel und Mäntel auszugeben.« Aber Baer, den ich gegen zwei Uhr nachts in der Kommandantur von Birkenau dabei antraf, den Abmarsch der Kolonnen auszuarbeiten, sah das offenbar anders. »Die eingelagerten Sachen sind Eigentum des Reichs. Ich habe keinerlei Befehle, sie an die Häftlinge zu verteilen. Sie werden, sobald wie möglich, per Lastwagen oder Bahn abtransportiert.« Draußen mussten es zehn Grad minus sein, die Wege waren gefroren und glatt. »So, wie sie bekleidet sind, werden Ihre Häftlinge nicht überleben. Viele sind praktisch barfuß.« – »Die Arbeitsfähigen überleben schon«, behauptete er. »Die anderen brauchen wir nicht.« Mit wachsender Wut ging ich in die Nachrichtenzentrale hinunter und ließ mich mit Breslau verbinden; doch Schmauser war nicht zu erreichen, Boesenberg auch nicht. Ein Funker zeigte mir eine Blitzmeldung der Wehrmacht: Tschenstochau war gefallen, die russischen Truppen befanden sich vor den Toren Krakaus. »Dicke Luft«, meinte er lakonisch. Ich dachte daran, ein Fernschreiben an den Reichsführer zu schicken, aber das würde nichts bringen; es war besser, am folgenden Tag Schmauser zu suchen, in der Hoffnung, dass der mehr Verstand hatte als dieser Trottel Baer. Plötzlich von Müdigkeit überwältigt, kehrte ich ins Haus zurück, um mich schlafenzu legen. Die Trecks von Zivilisten, mit Wehrmachtssoldaten vermischt, strömten noch immer herbei, erschöpfte Bauern, eingemummt, ihre Habseligkeiten mit den Kindern auf einem Karren angehäuft, trieben ihr Vieh vor sich her.
Piontek weckte mich nicht, und ich schlief bis acht. Die Küche war noch in Betrieb, ich ließ mir ein Omelett mit Würstchen bringen. Dann ging ich hinaus. Im Stammlager in Birkenau verließen die Kolonnen in endlosen Strömen das Lager. Die Häftlinge, die Füße mit allem umwickelt, was sie hatten finden können, marschierten langsam, mit schleppendem Gang, eskortiert von SS-Wachen und angetrieben von gut genährten und warm gekleideten Kapos. Wer eine Decke besaß, hatte sie mitgenommen und trug sie im Allgemeinen auf dem Kopf, fast wie ein Beduine; aber das war alles. Auf meine Frage wurde mir mitgeteilt, dass sie einen Kanten Brot und ein Stück Wurst für drei Tage bekommen hatten; niemand hatte wegen der Bekleidung einen Befehl erhalten.
Am ersten Tag schien es trotz Eis und feuchtem Schnee noch einigermaßen zu gehen. Ich nahm die Kolonnen, die das Lager verließen, in Augenschein, besprach mich mit Kraus,
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