Die Wohlgesinnten
fuhr die Straßen entlang, um zu sehen, wie es etwas weiter vorn aussah. Überall bemerkte ich Auswüchse: Die Wachen ließen Karren mit ihrem persönlichen Besitz von Häftlingen schieben oder zwangen sie, ihre Koffer zu tragen. Am Straßenrand bemerkte ich hier und da Leichen im Schnee, oft mit blutüberströmtem Kopf; die Wachen befolgten Baers strenge Befehle. Doch die Kolonnen hielten Marschordnung und machten nicht den Versuch einer Auflehnung. Mittags gelang es mir, Schmauser zu erreichen und ihm das Bekleidungsproblem vorzutragen. Er hörte mir kurz zu, dann fegte er meine Einwände beiseite: »Wir können ihnen keine Zivilkleider geben, die Fluchtgefahr ist zu groß.« – »Dann zumindest Schuhe.« Er zögerte. »Klären Sie das mit Baer«, sagte er schließlich. Er hatte offenbar andere Sorgen,das war zu merken, trotzdem wäre mir ein eindeutiger Befehl lieber gewesen. Ich suchte Baer im Stammlager auf: »Obergruppenführer Schmauser hat befohlen, Schuhe an die Häftlinge auszugeben, die keine haben.« Baer zuckte die Achseln: »Hier habe ich keine mehr, alles ist schon für den Transport verpackt. Versuchen Sie Ihr Glück bei Schwarzhuber in Birkenau.« Ich brauchte zwei Stunden, um diesen Offizier zu finden, den Lagerführer von Birkenau, der unterwegs gewesen war, um eine der Kolonnen zu inspizieren. »In Ordnung, ich kümmere mich darum«, versprach er mir, als ich ihm den Befehl übermittelte. Gegen Abend traf ich wieder mit Elias und Darius zusammen, die ich losgeschickt hatte, um die Evakuierung von Monowitz und mehreren Nebenlagern zu beobachten. Zunächst hatte es geschienen, dass alles fast reibungslos ablief, doch schon am Spätnachmittag konnten immer mehr Häftlinge vor Erschöpfung nicht weiter und ließen sich von den Wachen erschießen. Ich fuhr mit Piontek vor, um die Unterkünfte für die Nacht in Augenschein zu nehmen. Entgegen Schmausers ausdrücklichem Befehl – es wurde befürchtet, die Häftlinge könnten im Schutz der Dunkelheit fliehen – marschierten einige Kolonnen noch immer. Ich machte den Offizieren Vorhaltungen, doch sie erwiderten, sie hätten den angegebenen Haltepunkt noch nicht erreicht und könnten ihre Kolonnen ja wohl kaum draußen in Eis und Schnee übernachten lassen. Die Unterkünfte, die ich mir ansah, erwiesen sich als völlig unzulänglich: eine Scheune oder eine Schule, manchmal für zweitausend Häftlinge; viele schliefen draußen, eng zusammengedrängt. Ich fragte, ob man nicht Feuer machen könnte, aber es gab kein Holz, die Bäume waren zu nass, und es fehlte an Werkzeug, um sie zu fällen; wo sich Bretter oder alte Kisten fanden, wurden kleine Lagerfeuer entzündet, aber sie brannten nicht bis zum Morgen. Es war keine Suppenausgabe vorbereitet, die Häftlinge mussten sich mit dem begnügen, was sie imLager bekommen hatten; etwas weiter, wurde mir versichert, sei für alles gesorgt. Die meisten Kolonnen hatten keine fünf Kilometer geschafft; viele befanden sich noch in dem fast verlassenen Interessengebiet des Lagers; bei diesem Tempo würden die Märsche zehn bis zwölf Tage dauern.
Schlammbespritzt, durchnässt und erschöpft kehrte ich ins Haus zurück. Kraus war da, er trank ein Glas mit seinen Kameraden vom SD. Er setzte sich zu mir: »Wie läuft es?«, fragte er. »Nicht besonders. Es wird unnötige Verluste geben. Baer hätte viel mehr tun können.« – »Baer ist das scheißegal. Wissen Sie, dass er zum Kommandanten von Mittelbau ernannt worden ist?« Ich zog die Augenbrauen hoch: »Nein, das wusste ich nicht. Wer beaufsichtigt die Schließung des Lagers?« – »Ich. Ich habe Befehl, nach der Evakuierung eine Dienststelle einzurichten, um die administrative Auflösung durchzuführen.« – »Glückwunsch«, sagte ich. »Oh«, erwiderte er, »glauben Sie nicht, dass mir das Spaß macht. Ehrlich gesagt, ich würde lieber was anderes machen.« – »Und was sind Ihre unmittelbaren Aufgaben?« – »Wir warten, bis die Lager leer sind. Danach fangen wir an.« – »Was machen Sie mit den Häftlingen, die bleiben?« Er zuckte die Achseln und lächelte ironisch: »Was glauben Sie denn? Der Obergruppenführer hat Befehl gegeben, sie zu exekutieren. Niemand darf den Bolschewisten lebend in die Hände fallen.« – »Verstehe.« Ich trank mein Glas leer. »Na dann, lassen Sie sich nicht unterkriegen. Ich beneide Sie nicht.«
Unmerklich verschlechterte sich die Situation. Am nächsten Morgen marschierten neue Kolonnen durch das Haupttor zum Lager
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