Die Wohlgesinnten
Handgranaten zwischen die Beine geklemmt und fischte diese nun, lässig in den Bug gefläzt, eine nach der anderen heraus, entsicherte sie und warf sie träge über den Kopf ins Wasser; die durch die Unterwasserexplosionen emporgeschleuderten Fontänen spritzten uns nass, die Pioniere versuchten mit ihren Netzen, die toten Fische zu erwischen, die zu Dutzenden in unserem Kielwasser dümpelten, sie lachten, und ich bewunderte ihre bronzefarbene Haut und ihre sorglose Jugend. Abends kam Thomas gelegentlich in unserer Unterkunft vorbei, um Musik zu hören. Bohr hatte einen jüdischen Waisenjungen aufgetan und als Maskottchen adoptiert: Der Junge wusch die Fahrzeuge, putzte die Stiefel und reinigte die Pistolen derOffiziere, vor allem aber spielte er Klavier wie ein junger Gott, leicht, behände, mühelos. »Ein solcher Anschlag entschuldigt alles, selbst Jude zu sein«, sagte Bohr. Er ließ ihn Beethoven oder Haydn spielen, aber der Junge, Jakow, zog Bach vor. Er schien alle Suiten auswendig zu können, es war unglaublich. Sogar Blobel duldete ihn. Wenn Jakow nicht spielte, unterhielt ich mich gelegentlich damit, meine Kameraden auf den Arm zu nehmen, indem ich ihnen Stendhals Berichte über den Rückzug aus Russland vorlas. Einige waren empört: »Ja, die Franzosen vielleicht, die sind Nieten. Aber wir sind schließlich Deutsche.« – »Gewiss, aber die Russen sind immer noch Russen.« – »Eben nicht!«, ließ sich Blobel vernehmen. »Siebzig oder achtzig Prozent der sowjetischen Völker sind mongolischer Herkunft. Das ist bewiesen. Und die Bolschewiken haben eine vorsätzliche Politik der Rassenmischung betrieben. Im Weltkrieg, ja, da haben wir noch gegen echte russische Mushiks gekämpft, das waren wirklich zähe Burschen, diese Kerle, aber die Bolschewiken haben sie ausgerottet! Es gibt kaum noch echte Russen, echte Slawen. Auf jeden Fall«, fuhr er ohne jede Logik fort, »sind die Slawen definitionsgemäß eine Rasse von Untermenschen, von Sklaven. Bankerte. Nicht ein einziger ihrer Fürsten war wirklich russisch, immer war da normannisches, mongolisches, auch deutsches Blut im Spiel. Selbst ihr Nationaldichter war ein negroider Mischling, und das haben sie hingenommen, wenn das kein Beweis ist …« – »Auf jeden Fall«, fügte Vogt salbungsvoll hinzu, »ist Gott mit dem deutschen Volk und Reich. Wir können diesen Krieg nicht verlieren.« – »Gott?«, stieß Blobel wütend hervor. »Gott ist Kommunist. Wenn der mir über den Weg läuft, ergeht es ihm wie seinen Kommissaren.«
Er wusste, wovon er sprach. In Tschernjachowsk hatte die Sipo den Präsidenten der regionalen Troika des NKWD mit einem seiner Genossen verhaftet und sie nach Shitomir geschickt.Von Vogt und seinen Kameraden verhört, gestand dieser Richter – Wolf Kieper –, die Exekution von mehr als eintausenddreihundertfünfzig Menschen veranlasst zu haben. Er war ein Jude von ungefähr sechzig Jahren, Kommunist seit 1905 und Richter am Volksgericht seit 1918; der andere, Mosche Kogan, war jünger, aber auch Tschekist und Jude. Blobel hatte den Fall mit Rasch und Oberst Heim besprochen, und sie hatten sich auf eine öffentliche Hinrichtung geeinigt. Kieper und Kogan wurden vor ein Militärgericht gestellt und zum Tode verurteilt. Am frühen Morgen des 7. August gingen Offiziere des Sonderkommandos, unterstützt von Orpos und unseren Askaris, dazu über, Juden zu verhaften und auf dem Marktplatz zusammenzuführen. Die 6. Armee hatte einen Lautsprecherwagen der Propagandakompanie zur Verfügung gestellt, der durch die Straßen der Stadt fuhr und die Hinrichtung auf Deutsch und Ukrainisch ankündigte. Am späten Vormittag traf ich mit Thomas auf dem Platz ein. Mehr als vierhundert Juden waren dort versammelt und gezwungen worden, sich auf den Boden zu setzen, die Hände im Nacken, neben dem am Vorabend von den Kraftfahrern des Sonderkommandos errichteteten hohen Galgen. Hinter den aufgezogenen Wachen der Waffen-SS hatten sich Hunderte von Schaulustigen versammelt, vor allem Soldaten, aber auch Männer der Organisation Todt und des NSKK sowie zahlreiche ukrainische Zivilisten. Diese Zuschauer füllten den Platz auf allen Seiten, es war schwierig, sich einen Weg zu bahnen; rund dreißig Soldaten hatten sich sogar auf das Wellblechdach eines benachbarten Gebäudes gesetzt. Die Männer lachten, rissen Witze; viele fotografierten das Schauspiel. Blobel stand mit Häfner, der aus Belaja Zerkow zurückgekehrt war, am Fuße des Galgens. Neben den Reihen
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