Die Wohlgesinnten
von Juden stand Radetzky und wandte sich auf Ukrainisch an die Menge: »Ist hier noch jemand, der eine Rechnung mit einem Juden offen hat?«, fragte er. Daraufhintratein Mann aus der Menge und versetzte blitzschnell einem der sitzenden Männer einen Fußtritt, dann ging er wieder zurück; andere warfen mit verfaultem Obst und Tomaten nach ihnen. Ich betrachtete die Juden: Ihre Gesichter waren grau, ängstlich schossen ihre Blicke umher, sie fragten sich, was nun käme. Unter ihnen waren viele alte Männer mit dichten weißen Bärten und schmutzigen Kaftanen, aber auch ziemlich junge Männer. Ich bemerkte, dass sich in der Postenkette mehrere Landser befanden. »Was tun die denn hier?«, fragte ich Häfner. »Das sind Freiwillige. Sie haben gefragt, ob sie helfen dürfen.« Ich verzog das Gesicht. Es waren zahlreiche Offiziere zu sehen, aber ich erkannte niemanden vom AOK. Ich ging auf die Postenkette zu und wandte mich an einen der Wehrmachtssoldaten: »Was machen Sie hier? Wer hat Ihnen befohlen, hier Wache zu stehen?« Er machte ein verlegenes Gesicht. »Wo ist Ihr Vorgesetzter?« – »Ich weiß nicht, Herr Obersturmführer«, antwortete er schließlich und kratzte sich die Stirn unter seinem Schiffchen. »Was tun Sie hier?«, wiederholte ich. »Ich bin heute Morgen mit meinen Kameraden ins Getto gegangen, Herr Obersturmführer. Nun ja, da haben wir unsere Hilfe angeboten, Ihre Kameraden haben Ja gesagt. Ich habe ein paar Lederstiefel bei einem Juden in Auftrag gegeben, und ich wollte ihn aufsuchen, bevor … bevor …« Er wagte noch nicht einmal das Wort auszusprechen. »Bevor man ihn erschießt. Meinen Sie das?«, warf ich bitter ein. »Jawohl, Herr Obersturmführer.« – »Und? Haben Sie ihn gefunden?« – »Er ist da drüben. Aber ich habe nicht mit ihm sprechen können.« Ich kehrte zu Blobel zurück. »Standartenführer, wir müssen die Männer von der Wehrmacht wegschicken. Es geht nicht an, dass sie ohne Befehl an der Aktion teilnehmen.« – »Lassen Sie sie nur, Obersturmführer. Ist doch schön, dass sie Begeisterung zeigen. Das sind gute Nationalsozialisten, die möchten auch ihren Beitrag leisten.« Ich zuckte die Achseln und schloss mich wiederThomas an. Mit einer Kinnbewegung wies er auf die Menge: »Wenn wir Eintrittskarten verkauft hätten, wären wir jetzt reich.« Er lachte spöttisch. »Beim AOK nennen sie das Exekutionstourismus .« Der Lastwagen war eingetroffen und manövrierte hin und her, bis er unter dem Galgen stand. Zwei Männer der Waffen-SS ließen Kieper und Kogan absteigen. Sie trugen Bauernhemden, die Hände waren hinter dem Rücken gefesselt. Kiepers Bart war in der Haft weiß geworden. Unsere Fahrer legten ein Brett über den Kasten des Lastwagens, erklommen es und banden die Taue fest. Ich bemerkte, dass Häfner abseits blieb, er rauchte mit verdrossener Miene; Bauer dagegen, Blobels etatmäßiger Fahrer, überprüfte die Knoten. Dann kletterte auch Zorn hinauf, und die Männer von der Waffen-SS zogen ihre beiden Verurteilten nach oben. Sie stellten sie unter den Galgen, und Zorn hielt eine Rede; er sprach auf Ukrainisch, offenbar erklärte er das Urteil. Die Zuschauer brüllten und pfiffen, er konnte sich kaum verständlich machen; mehrfach versuchte er, sie durch Handbewegungen zum Schweigen zu bringen, doch niemand kümmerte sich darum. Die Soldaten machten Aufnahmen, zeigten lachend auf die Verurteilten. Dann legten Zorn und einer der SS-Männer ihnen die Schlingen um den Hals. Die beiden Verurteilten blieben stumm, in sich versunken. Zorn und die anderen kletterten von dem Brett herunter, und Bauer ließ den Motor des Lkw an. »Langsamer, nicht so schnell«, riefen die fotografierenden Landser. Der Lastwagen fuhr an, die beiden Männer versuchten, das Gleichgewicht zu bewahren, dann rutschten sie nacheinander ab und pendelten noch mehrere Male vor und zurück. Kieper war die Hose auf die Knöchel gefallen; unter dem Hemd war er nackt, mit Grauen sah ich sein pralles Glied, er ejakulierte noch. » Nix kultura! «, grölte ein Landser, andere griffen den Ruf auf. Zorn nagelte Anschläge an die Pfosten des Galgens, auf denen die Verurteilung erklärt wurde; dort stand zulesen, dass die eintausenddreihundertfünfzig Opfer Kiepers alle Volksdeutsche und Ukrainer gewesen seien.
Anschließend befahlen die Soldaten der Postenkette den Juden, aufzustehen und sich in Marsch zu setzen. Blobel stieg mit Häfner und Zorn in sein Fahrzeug; Radetzky lud mich und Thomas ein, mit ihm zu
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