Die Wohlgesinnten
hinüber? Zurück nach Deutschland?« – »Nein«, sagte der Junge. »Wir haben unseren eigenen Auftrag.« Wir zogen die Stiefel aus, steckten sie uns in den Gürtel, meine Mütze stopfte ich unter die Uniformjacke; Thomas und Fritz, der deutsche Soldat, behielten ihre Maschinenpistolen, für den Fall, dass die Insel besetzt sein sollte. An dieser Stelle ist der Fluss eigentlich dreihundert Meter breit, aber jetzt im Frühjahr war er angeschwollen und hatte eine starke Strömung; wegen des Belgiers, den ich, in Rückenlage schwimmend, unter dem Kinn gefasst hielt, kam ich nur langsam voran, ich wurde rasch abgetrieben und wäre fast an der Insel vorbeigetragen worden; sobald ich Grund unter den Füßen fühlte, ließ ich den Soldaten los und zog ihn am Kragen weiter, bis er allein im Wasser gehen konnte. Am Ufer übermannte mich die Erschöpfung, und ich musste mich einen Augenblick setzen. Von den Sümpfen gegenüber drang kaum ein Geräusch herüber, die Kinder waren schon verschwunden; die Insel, auf der wir uns befanden, war bewaldet, und auch hier hörte ich nichts, außer dem Murmeln des Wassers. Der Belgier ging zu Thomas und dem deutschen Soldaten, die weiter flussaufwärts an Land gegangenwaren, er kam zurück und berichtete, dass die Insel offenbar verlassen war. Als ich wieder aufstehen konnte, durchquerten wir den Wald. Auch auf der anderen Seite war das Ufer stumm und schwarz. Aber ein rot-weiß bemalter Pfahl auf dem Strand zeigte den Standort eines mit einer Plane geschützten Feldtelefons an, dessen Kabel im Wasser verschwand. Thomas nahm den Hörer auf und drehte die Kurbel. »Guten Abend«, sagte er. »Ja, wir sind deutsche Soldaten.« Er nannte Namen und Dienstgrade. Dann: »Sehr schön.« Er legte auf, richtete sich wieder auf und blickte mich mit strahlendem Lächeln an. »Sie sagen, wir sollen uns in einer Reihe aufstellen und die Hände hochnehmen.« Wir hatten kaum Zeit, der Aufforderung nachzukommen: Ein starker Scheinwerfer leuchtete am deutschen Ufer auf und erfasste uns. So blieben wir einige Minuten stehen. »Gut durchdacht, ihr System«, meinte Thomas. Ein Motorengeräusch ertönte in der Nacht. Ein Schlauchboot näherte sich und legte bei uns an; drei Soldaten musterten uns schweigend, die Waffen im Anschlag, bis sie sich davon überzeugt hatten, dass wir tatsächlich Deutsche waren; immer noch wortlos bedeuteten sie uns einzusteigen, und das Boot begann seine schwankende Fahrt über das schwarze Wasser.
Am Ufer warteten in der Dunkelheit Feldgendarmen. Ihre großen Blechschilde glänzten im Mondlicht. Sie führten uns zu einem Polizeihauptmann in einem Bunker, der unsere Papiere verlangte; keiner von uns hatte welche. »In diesem Falle«, sagte der Offizier, »muss ich Sie unter Bedeckung nach Stettin schaffen lassen. Ich bedaure außerordentlich, aber alle möglichen Leute versuchen jetzt einzusickern.« Während wir warteten, verteilte er Zigaretten, und Thomas plauderte freundlich mit ihm: »Kommen hier viele durch?« – »Zehn bis fünfzehn pro Nacht. An unserem ganzen Abschnitt Dutzende. Neulich sind mehr als zweihundert Mann auf einmal gekommen, noch bewaffnet. Die meisten landenhier, wegen der Sümpfe, die die Russen kaum kontrollieren, wie Sie ja selbst feststellen konnten.« – »Die Idee mit dem Telefon ist genial.« – »Danke. Das Wasser ist gestiegen, und mehrere Männer sind bei dem Versuch herüberzuschwimmen ertrunken. Das Telefon bewahrt uns vor bösen Überraschungen … So hoffen wir zumindest«, fügte er lächelnd hinzu. »Offenbar schicken die Russen uns auch Verräter mit rüber.« In der Morgendämmerung stiegen wir mit drei anderen Rückkämpfern und einer Eskorte bewaffneter Feldgendarmen auf einen Lastwagen. Wir hatten den Fluss knapp oberhalb von Pölitz überquert; aber die Stadt lag unter dem Feuer der russischen Artillerie, und unser Lastwagen musste einen langen Umweg machen, um nach Stettin zu gelangen. Auch dort explodierten Granaten, munter schlugen die Flammen aus den Häusern; durch das offene Heck des Lastwagens erblickte ich auf den Straßen fast nur Soldaten. Wir wurden zu einem Gefechtsstand der Wehrmacht gebracht, wo wir sofort von den Soldaten getrennt wurden, ein gestrenger Major verhörte uns, ein Vertreter der Gestapo in Zivil kam hinzu. Ich ließ Thomas sprechen, er erzählte unsere Geschichte in allen Einzelheiten; ich äußerte mich nur, wenn ich direkt gefragt wurde. Auf Thomas’ Drängen erklärte sich der Gestapo-Mann
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