Die Wohlgesinnten
begann von Neuem. Noch einmal änderte man die Methode: Blobel ließ weitere Schützen antreten, und jetzt zielten sie, wie im Juli, zu zweit auf das Genick; wenn erforderlich, setzte Häfner selbst den Gnadenschuss.
Am Abend dieser Hinrichtungen begleitete ich Thomas ins Kasino. Lebhaft diskutierten die Offiziere des AOK über die Ereignisse des Tages; sie begrüßten uns höflich, schienen aber befangen zu sein, sich unbehaglich zu fühlen. Thomas begann eine Unterhaltung; ich zog mich in einen leeren Alkoven zurück und rauchte. Nach dem Essen lebten die Diskussionen wieder auf. Ich bemerkte den Kriegsrichter, der mit Blobel gesprochen hatte; er schien besonders erregt zu sein. Ich schloss mich der Gruppe an. Wie ich dem Gespräch entnahm, hatten die Offiziere keine Einwände gegen die Aktion an sich, sondern nur gegen die Anwesenheit so vieler Wehrmachtssoldaten und ihrer Mitwirkung an den Erschießungen. »Wenn sie den Befehl erhalten, ist es eine andere Sache«, erklärte der Richter, »aber so ist das vollkommen unzulässig. Das ist eine Schande für die Wehrmacht.« – »Was soll das heißen«, entgegnete Thomas, »die SS darf die Erschießungenvornehmen, die Wehrmacht aber noch nicht einmal zuschauen?« – »Darum geht es nicht, darum geht es überhaupt nicht. Das ist eine Frage der militärischen Ordnung. Solche Aufgaben sind für niemanden angenehm. Aber es dürfen nur die Männer daran teilnehmen, die den Befehl dazu erhalten haben. Wenn nicht, bricht die ganze militärische Disziplin zusammen.« – »Ich stimme Dr. Neumann zu«, rief Niemeyer, der Abwehroffizier, dazwischen. »Das ist keine Sportveranstaltung. Die Männer führen sich auf, als wären sie beim Pferderennen.« – »Aber, Herr Oberstleutnant«, wandte ich ein, »das AOK war doch einverstanden damit, dass wir die Aktion öffentlich ankündigten. Sie haben uns doch sogar ein Fahrzeug Ihrer PK zur Verfügung gestellt.« – »Es liegt mir fern, die SS zu kritisieren, die eine sehr schwierige Aufgabe zu erfüllen hat«, antwortete Niemeyer, ein wenig in Verteidigungshaltung. »Wir haben die Frage tatsächlich im Vorfeld erörtert und waren uns einig, dass es ein gutes Beispiel für die Zivilbevölkerung wäre, dass es nützlich wäre, wenn sie mit eigenen Augen sieht, wie wir die Macht der Juden und Bolschewiken brechen. Aber das geht dann doch ein bisschen zu weit. Ihre Männer dürfen ihre Waffen nicht aus der Hand geben und unseren Leuten überlassen.« – »Ihre Leute hätten sie nicht verlangen dürfen«, erwiderte Thomas scharf. »Dann sollten wir die Frage auf jeden Fall dem Generalfeldmarschall vorlegen«, meinte Neumann, der Richter, verärgert.
All das führte zu einem Befehl, wie er typisch für von Reichenau war: Unter Bezug auf unsere notwendigen Exekutionen von Kriminellen, Bolschewiken und im wesentlichen jüdischen Elementen verbot er den Soldaten der 6. Armee, ohne Befehl eines höheren Offiziers den Aktionen beizuwohnen,sie zu fotografieren und oder an ihnen teilzunehmen. An sich hätte das wahrscheinlich nicht viel geändert, aber Rasch befahl uns, die Aktionen außerhalb der Ortschaften durchzuführen und das Gebiet weiträumig abzusperren, um die Anwesenheit von Zuschauern zu unterbinden. Fortan schien Diskretion geboten zu sein. Aber auch der Wunsch, diese Dinge zu sehen, lag in der menschlichen Natur. Als ich meinen Platon durchblätterte, fand ich im Staat den Abschnitt, an den ich bei meiner Reaktion auf die Leichen in der Burg von Luzk hatte denken müssen: Leontios, Aglaions Sohn, wie er vom Peiraieus her die nördliche Mauer entlang außen heraufging und bemerkte, daß bei dem Scharfrichter Leichname liegen, begehrte einerseits, sie zu sehen, und empfand andererseits doch Abscheu und wandte sich ab und kämpfte eine Weile und verhüllte sich, lief zuletzt dann aber, von der Begierde überwältigt, mit weit aufgerissenen Augen zu den Leichnamen hin und rief aus: »Da habt ihr’s denn, ihr Unseligen! Seht euch satt an dem edlen Anblick!« Um ehrlich zu sein, die Soldaten schienen selten den Abscheu des Leontios zu verspüren, nur seine Begierde, und das war es offenbar, was die Heeresführung störte, der Gedanke, dass die Männer an solchen Aktionen Gefallen finden könnten. Trotzdem, allen, die daran teilnahmen, gefiel es, das schien mir auf der Hand zu liegen. Einige genossen erkennbar die Tat an sich, doch diese Soldaten konnte man wohl als krank betrachten, es war völlig richtig, sie abzuziehen und
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