Die Wohlgesinnten
der Großen Aktion sehr beschäftigt, denn ich musste alle meine Informantennetze und -kontakte meinem Nachfolger, dem Leiter III des Ek 5, übergeben. Außerdem galt es, all die Dinge zu regeln, die sich aus der Aktion ergeben hatten: Wir hatten hundertsiebenunddreißig Lastwagenladungen Kleidung gesammelt, die für die bedürftigen Volksdeutschen in der Ukraine bestimmt war; die Bettdecken gingen für ein Feldlazarett an die Waffen-SS. Und dann waren Berichte zu schreiben: Auf Befehl von Müller hatte mich Blobel zum Rapport bestellt und beauftragt, Bildmaterial zur Dokumentation der Aktion vorzubereiten. Schließlich traf Himmler in Begleitung von Jeckeln ein und belohnte uns noch am selben Tag mit einer Rede. Nachdem er uns die Notwendigkeit erläutert hatte, die jüdische Bevölkerung auszurotten, um den Bolschewismus an der Wurzel zu packen, erklärte er uns ernst, er sei sich der Schwierigkeit der Aufgabe bewusst ; fast übergangslos entwickelte er uns dann seine Vorstellung vonder Zukunft des deutschen Ostens. Am Ende des Krieges könnten die Russen, in die Gebiete jenseits des Urals zurückgedrängt, ein Restgebiet Slawenland bilden; natürlich würden sie regelmäßig Vorstöße nach Westen versuchen; um sie daran zu hindern, würde Deutschland auf dem Gebirgszug eine Kette von Garnisonsstädten und kleinen Befestigungen anlegen, die in die Obhut der Waffen-SS gestellt würden. Alle jungen Deutschen würden zu einem zweijährigen Wehrdienst bei der SS verpflichtet und dorthin geschickt; zwar würde es Verluste geben, aber diese ständigen kleinen, relativ harmlosen Konflikte würden dem deutschen Volk dabei helfen, nicht in der Schlaffheit der Sieger zu versinken und die Kraft des Kriegers zu bewahren, wachsam und stark zu bleiben. Durch diesen Limes geschützt, stünde das russische und ukrainische Gebiet der deutschen Kolonisation offen, um von unseren Kriegsteilnehmern erschlossen zu werden: Jeder von ihnen, Krieger und Bauer wie seine Söhne , würde große fruchtbare Ländereien bestellen; für die Feldarbeit würden slawische Heloten sorgen, der Deutsche würde sich auf die Verwaltung beschränken. Diese Höfe würden in der Umgebung kleiner Garnisons- und Marktstädte liegen; was die hässlichen russischen Industriestädte anginge, so würden sie möglichst rasch dem Erdboden gleichgemacht werden; allerdings könne man Kiew, eine sehr alte deutsche Stadt, die ursprünglich Kiroffo geheißen habe, verschonen. All diese Städte wären mit dem Reich durch ein Netz von Autobahnen und doppelstöckigen Schnellzügen verbunden, mit komfortablen Schlafwagenabteilen, für die man Spezialgleise von mehreren Metern Spurbreite legen wollte; für diese umfangreichen Arbeiten seien die verbliebenen Juden und Kriegsgefangene vorgesehen. Die Krim schließlich, altes gotisches Land, würde wie die Gebiete der Wolgadeutschen und das Erdölzentrum Baku dem Reich als Ferien- und Erholungslandschaft eingegliedert und durch eine Schnellzug-verbindungüber Brest-Litowsk direkt mit Deutschland verbunden; der Führer werde dort nach Abschluss seiner umfangreichen Arbeiten den Ruhestand verbringen. Diese Rede machte enormen Eindruck: Es gab offenkundig – auch wenn mich die skizzierte Vision an die fantastischen Utopien von Jules Verne oder Edgar Rice Burroughs erinnerte – auf den höheren, den unseren weit entrückten Entscheidungsebenen einen Plan , ein Endziel .
Der Reichsführer nutzte die Gelegenheit ferner, um uns den SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei, Dr. Thomas, vorzustellen, der mit ihm gekommen war, um Dr. Rasch an der Spitze der Einsatzgruppe zu ersetzen. Rasch hatte Kiew nämlich am zweiten Tag der Aktion verlassen und sich noch nicht einmal verabschiedet. Thomas hatte dieses Ereignis wie immer exakt vorhergesehen. Die Gerüchteküche brodelte; man stellte Vermutungen über seinen Streit mit Koch an, erzählte sich, er sei während der Aktion zusammengebrochen. Dr. Thomas, Träger des Eisernen Kreuzes, der Französisch, Englisch, Griechisch und Latein beherrschte, war ein Mann von ganz anderem Schlag; von Haus aus Psychiater, hatte er seine Praxis 1934 aus Idealismus und nationalsozialistischer Überzeugung für den SD aufgegeben. Ich hatte schon bald Gelegenheit, ihn besser kennenzulernen, denn gleich nach seiner Ankunft begann er, alle Büros der Gruppe und der Kommandos aufzusuchen und persönliche Gespräche mit den Offizieren zu führen. Besonderes Interesse schien er den psychischen
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