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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Problemen der Männer und Offiziere entgegenzubringen. Wie er uns in Gegenwart des Leiters des Ek 5 erläuterte, der meine Personalakte und die verschiedener anderer SD-Offiziere führte, sei es für einen geistig gesunden Menschen unmöglich, monatelang einer solchen Situation ausgesetzt zu sein, ohne unter – teils schwerwiegenden – Folgen zu leiden. In Lettland, in der Einsatzgruppe A, war ein Untersturmführer verrückt gewordenund hatte mehrere andere Offiziere getötet, bevor er selbst erschossen wurde; der Fall bereitete Himmler und der RSHA-Führung beträchtliche Sorgen, daher war Dr. Thomas, den sein ehemaliger Beruf mit besonderem Fingerspitzengefühl für das Problem ausstattete, vom Reichsführer gebeten worden, Gegenmaßnahmen vorzuschlagen. Bald darauf gab der Brigadeführer einen ganz neuen Befehl aus: Wer nicht die Verpflichtung eingehen konnte, Juden zu töten, sei es aus Gewissensgründen, sei es aus Schwäche, sollte sich beim Gruppenstab melden, wo man ihm andere Aufgaben zuweisen oder ihn sogar nach Deutschland zurückschicken würde. Dieser Befehl löste unter den Offizieren lebhafte Diskussionen aus; einige glaubten, wenn sie auf diese Weise ihre Schwäche offiziell eingestünden, würde das nachteilige Spuren in ihrer Personalakte hinterlassen und ihre Beförderungschancen belasten; andere dagegen erklärten sich bereit, Dr. Thomas beim Wort zu nehmen und um ihre Versetzung zu bitten. Wieder andere, Lübbe zum Beispiel, wurden auf Anraten der Ärzte des Kommandos versetzt, ohne darum gebeten zu haben. Die Dinge beruhigten sich ein wenig. Was meinen Bericht anging, so hatte ich mich entschieden, die Bilder nicht lose zu präsentieren, sondern eine Dokumentationsmappe anzulegen. Das erwies sich als ein hübsches Stück Arbeit. Einer unserer Orpos, ein Amateurfotograf, hatte während der Erschießungen mehrere Farbfilme verknipst und verfügte auch über die nötigen Utensilien, um sie zu entwickeln; in einem Laden ließ ich requirieren, was er noch brauchte, um mir Abzüge von seinen besten Aufnahmen zu machen. Außerdem sammelte ich Schwarzweißfotografien und ließ alle Berichte über die Aktion auf schönes Papier kopieren, das uns die Standortverwaltung des XXIX. Korps zur Verfügung stellte. Ein Schreiber des Stabs legte in seiner schönen Kanzleischrift die Legenden und eine Titelseite an, auf der stand Die Große Aktion von Kiew und,kleiner, Berichte und Dokumente sowie die Daten. Unter den Arbeitsjuden, die im neuen Lager Syrez untergebracht waren, trieb ich einen alten Schuhmacher auf, der Bücher für Parteibüros restauriert und sogar Alben für einen Parteikongress angefertigt hatte; der Lagerkommandant von Radomski lieh ihn mir für ein paar Tage aus; mit schwarzem Leder, das von konfiszierten Wertgegenständen stammte, bezog er die Berichte und die Bildtafeln und fasste das Ganze in einem Einband zusammen, auf dem das geprägte Emblem des Sk 4a prangte. Dann übergab ich Blobel das Buch. Er war begeistert, blätterte es durch, pries Einband und kalligrafisches Schriftbild und meinte: »So etwas hätte ich auch gern als Erinnerung!« Er beglückwünschte mich und versicherte mir, es werde dem Reichsführer, wenn nicht gar dem Führer selbst übersandt; darauf könne das ganze Kommando stolz sein. Ich glaube nicht, dass das Album für ihn das Gleiche bedeutete wie für mich: Für ihn war es eine Trophäe, für mich eher eine bittere Erinnerung, eine feierliche Mahnung. Am Abend diskutierte ich darüber mit einem neuen Bekannten, einem Wehrmachtsingenieur namens Osnabrugge. Ich hatte ihn im Offizierskasino kennengelernt, als er mich zu einem Glas eingeladen hatte; er erwies sich als interessanter Mensch, und ich fand Vergnügen an den Gesprächen mit ihm. Als ich ihm von dem Album berichtete, äußerte er einen seltsamen Gedanken: »Jeder muss seine Arbeit mit Liebe tun.« Osnabrugge war Absolvent einer Technischen Hochschule des Rheinlands, sein Spezialgebiet war der Brückenbau, eine wahre Leidenschaft für ihn, über die er sich beredt zu äußern wusste: »Wissen Sie, ich habe meinen Beruf in dem Bewusstsein erlernt, eine kulturelle Mission zu erfüllen. Eine Brücke ist ein unmittelbarer und materieller Beitrag zur Gemeinschaft, sie schafft neue Straßen, neue Verbindungen. Und außerdem ist sie schön. Nicht nur fürs Auge: Wenn Sie wüssten, wie die Berechnungen, die Spannungen und Kräfte, dieBögen und Seile durch das Spiel der mathematischen Formeln im Gleichgewicht

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