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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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gehalten werden!« Dabei hatte er selbst noch nie eine Brücke gebaut: Er hatte Entwürfe gezeichnet, aber noch nie einen verwirklicht. Dann war er von der Wehrmacht hergeschickt worden, um die Schäden der von den Sowjets gesprengten Brücken fachmännisch zu begutachten. »Das ist faszinierend, müssen Sie wissen. Wie keine Brückenkonstruktion einer anderen völlig gleicht, so fliegen sie auch nicht auf die gleiche Weise in die Luft. Es gibt immer Überraschungen, das ist sehr aufschlussreich. Trotzdem macht mich der Anblick sehr traurig. Es sind so schöne Bauwerke. Wenn Sie möchten, zeige ich sie Ihnen.« Ich nahm seinen Vorschlag mit Vergnügen an, hatte ich doch jetzt ein wenig mehr Freizeit. Wir verabredeten uns am Fuße der größten der zerstörten Dneprbrücken, und dort traf ich ihn dann eines Morgens. »Das ist wirklich beeindruckend«, sagte er und musterte die Trümmer; er stand unbeweglich da, die Fäuste in die Hüften gestützt. Diese riesige Bogenbrücke aus Metall, unmittelbar unter den Klippen von Petschersk errichtet, ruhte auf fünf massiven Pfeilern aus Quadersteinen; drei Joche lagen zur Gänze im Wasser, die Sprengladungen hatten sie einfach abgerissen; zwei hielten noch. Gleich daneben konstruierten Pioniere eine Pontonbrücke, indem sie Stahlträger und Holzbohlen über große Schlauchboote legten; sie hatten schon fast die Hälfte des Flusses überquert. Inzwischen wurde der Verkehr mit Prähmen abgewickelt; auf dem sandigen Uferstreifen wartete eine Menschenmenge, Soldaten und Zivilisten. Osnabrugge verfügte über ein Motorboot. Wir umfuhren die im Bau befindliche Pontonbrücke und legten vorsichtig an den verbogenen Jochen der eingestürzten Brücke an. »Sehen Sie«, sagte er und wies auf die Pfeiler, »dort haben sie sogar den Stützbogen zum Einsturz gebracht, hier aber nicht. Das war auch nicht nötig, es genügte, die tragenden Elemente zu durchtrennen, um alleszum Einsturz zu bringen. Sie sind ein bisschen übereifrig gewesen.« – »Und die Pfeiler?« – »Alle noch in Ordnung, abgesehen vielleicht vom mittleren. Das untersuchen wir gerade. Auf jeden Fall werden wir den wieder instand setzen, aber nicht gleich.« Ich blickte mich um, während Osnabrugge mich auf weitere Einzelheiten aufmerksam machte. Oben auf dem bewaldeten Rand des Steilufers, den der Herbst in flammendes Rot und Gelb getaucht hatte, mit vereinzelten wie zufällig hingestreuten Tupfern leuchtenden Rots dazwischen, glänzten die vergoldeten Kuppeln der Lawra in der Sonne. Die Stadt verbarg sich dahinter, und man erblickte in dieser Richtung keine menschliche Behausung. Ein Stück flussab blockierten zwei weitere zerstörte Brücken die Fahrrinne. Träge wälzte sich das Wasser zwischen den halb überfluteten Stahlträgern hindurch; vor uns schob sich ein Fährprahm mit Landvolk in bunten Tüchern und unausgeschlafenen Soldaten bedächtig voran. Als ich die langen unter der Wasseroberfläche wogenden Algen betrachtete, suchte mich eine Art Doppelbild heim: Deutlich erkannte ich die Algen und glaubte gleichzeitig die großen Körper napoleonischer Husaren zu erblicken, in apfelgrünen, flaschengrünen oder gelben Uniformen, mit Kokarden und Federstutzen, wie sie mit der Strömung davontrieben. Die Illusion war sehr intensiv, und ich musste wohl den Namen des Kaisers ausgesprochen haben, denn Osnabrugge meinte plötzlich: »Napoleon? Genau, vor meiner Abreise bin ich auf ein Buch über Eblé gestoßen, kennen Sie ihn, den Chefingenieur? Ein toller Typ. Von Ney abgesehen fast der einzige, der was riskiert hat, wirklich wahr, auch der einzige von Napoleons höheren Offizieren, der gefallen ist. Bei Königsberg, Ende des Jahres, nachdem er die Brücken über die Beresina geschlagen hatte.« – »Richtig, die Beresina, die ist bekannt.« – »Wir haben sie in weniger als einer Woche überquert. Wissen Sie, dass Eblé dort zwei Brücken bauen ließ? Eine für die Männer und eine für dasrollende Material, darunter natürlich die Offiziere auf ihren Karren.« Wir setzten unseren Weg in Richtung des Ufers fort. »Sie sollten Herodot lesen«, sagte ich. »Da gibt es auch hübsche Geschichten über Brücken.« – »Oh, die kenne ich, die kenne ich.« Er zeigte auf die Pontonbrücke der Pioniere: »Schon die Perser haben Brücken mit Hilfe solcher Schiffe gelegt.« Er verzog das Gesicht. »Bessere vermutlich.« Er setzte mich am Ufer ab, und ich schüttelte ihm freundschaftlich die Hand. »Vielen Dank für den

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