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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Ausflug. Es war mir ein großes Vergnügen. Also, auf bald!« – »Oh, ich weiß nicht. Ich muss morgen nach Dnepropetrowsk aufbrechen. Stellen Sie sich vor, ich muss dreiundzwanzig Brücken inspizieren! Aber wir werden uns sicherlich eines Tages wieder über den Weg laufen.«
    Mein Geburtstag fällt auf den 10. Oktober, und in diesem Jahr hatte Thomas mich zum Abendessen eingeladen. Am späten Nachmittag kamen mehrere Offiziere mit einer Flasche Kognak zum Gratulieren, und wir leerten einige Gläser. Thomas stieß in glänzender Laune zu uns, brachte einen Toast auf meine Gesundheit aus, dann zog er mich zur Seite und drückte mir die Hand: »Als Geburtstagsgeschenk bringe ich dir gute Nachrichten, mein Lieber: Du wirst befördert. Das ist noch nicht offiziell, aber ich habe die Papiere schon bei Hartl gesehen. Nach der Aktion hat der Reichsführer dem Gruppenchef befohlen, ihm eine Liste besonders verdienter Männer und Offiziere vorzulegen. Dein Album ist sehr gut angekommen, daher ist dein Name auf die Liste gesetzt worden. Ich weiß, dass Hartl es verhindern wollte, er hat dir deine Vorwürfe während der Aktion noch nicht vergeben, aber Blobel hat darauf bestanden. Du solltest dich demnächst einmal bei Hartl entschuldigen.« – »Kommt nicht in Frage. Wenn sich einer entschuldigen muss, dann er.« Er lachte und zuckte die Achseln: »Wie du willst, Hauptsturmführer. Doch deine Haltung erleichtert dir das Leben nichtunbedingt.« Unwirsch erwiderte ich: »Meine Haltung ist die eines SS-Offiziers und Nationalsozialisten. Wer das von sich sagen kann, möge mir Vorwürfe machen.« Ich wechselte das Thema: »Und du?« – »Was soll mit mir sein?« – »Wirst du nicht befördert?« Er grinste breit: »Keine Ahnung. Du wirst schon sehen.« – »Pass auf! Ich hol dich noch ein.« Er lachte, und ich lachte mit. »Das würde mich wundern«, sagte er.
    Langsam erwachte die Stadt wieder zum Leben. Nachdem die wichtigsten Straßen umbenannt worden waren – aus dem Kreschtschatik wurde die Eichhornstraße, zu Ehren des deutschen Generals, der 1918 in Kiew einmarschiert war, aus dem Boulevard Schewtschenko die Rownower Straße, aus der Artjomowsker-Straße die Lemberger Straße und aus meiner Lieblingsstraße, der Straße der Tschekisten, eine gewöhnliche Gotenstraße –, hatte die Ortskommandantur einigen Privatrestaurants die Wiedereröffnung gestattet; als das beste galt das eines Volksdeutschen aus Odessa, der die Kantine für höhere Parteifunktionäre, in der er als Koch gearbeitet hatte, auf eigene Rechnung übernommen hatte. Thomas hatte dort einen Tisch reservieren lassen. Alle Gäste waren deutsche Offiziere, von zwei ukrainischen Führungskräften abgesehen, die mit Offizieren vom AOK diskutierten: Ich erkannte Bahasy, den von Eberhard eingesetzten »Bürgermeister« von Kiew; der SD verdächtigte ihn massiver Korruption, doch er unterstützte Melnyk, und von Reichenau hatte sein Plazet gegeben, daher hatten wir unsere Einwände schließlich fallen lassen. Dicke Vorhänge aus falschem Samt verbargen die Fenster, jede Nische wurde von einer Kerze erhellt; man führte uns in eine Ecke, wo wir für uns waren, und brachte uns ukrainische Sakuski – Gewürzgürkchen, eingelegten Knoblauch und Räucherspeck –, dazu eiskalten, mit Honig und Pfeffer angesetzten Wodka. Wir tranken uns zu, knabberten die Sakuski und plauderten. »Na«, ulkte Thomas, »verlockt dich das Angebot des Reichsführers, dich als Gutsherrniederzulassen?« – »Ich glaube nicht! Die Feldarbeit liegt mir nicht besonders.« Doch Thomas war schon bei der Großen Aktion: »Das war wirklich sehr hart, sehr unangenehm«, meinte er, »aber notwendig.« Ich mochte das Thema nicht weiterverfolgen: »Was ist eigentlich mit Rasch passiert?«, fragte ich. »Ach, der! Ich wusste, dass du mich das fragen würdest.« Er zog ein kleines Bündel zusammengefalteter Blätter aus seinem Waffenrock: »Hier, lies das. Aber kein Wort darüber, ja?« Es handelte sich um einen Bericht auf einem Briefbogen mit dem Kopf der Einsatzgruppe, von Rasch unterzeichnet und wenige Tage vor der Großen Aktion abgefasst. Ich überflog ihn; am Ende brachte Rasch seine Zweifel daran zum Ausdruck, dass die Juden alle ausgeschaltet werden könnten, und betonte, dass sie nicht der einzige Gefahrenherd seien: Der bolschewistische Apparat ist in keiner Weise mit der jüdischen Bevölkerung identisch. Bei dieser Sachlage würde das Ziel einer politisch-polizeilichen Sicherung

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