Die Wohltaeter
einige kleinere Kinder, die nicht älter als zehn oder zwölf Jahre aussahen.
»Was machen Sie da«, rief einer von ihnen. »Was haben Sie gegen die, die kher tun? Lassen Sie sie in Frieden, sonst haben Sie ein Problem. Verstanden?«
»Sehen Sie nur, was Sie jetzt angestellt haben«, flüsterte der Fotograf, der nun fast auf Ninos’ Höhe angelangt war.
»Dort – sehen Sie sie? –, machen Sie jetzt das Bild.« Ninos wies mit ausgestrecktem Arm die Richtung und geriet dabei ein wenig aus dem Gleichgewicht. Er schwankte.
»Das werde ich bei der Redaktionsleitung melden«, murmelte der Fotograf verkniffen.
»Klar«, entgegnete Ninos dankbar. »Tun Sie das. Aber fotografieren Sie jetzt endlich.«
Ein etwa fünfzehnjähriger Junge rief ihnen zu: »Kommt da runter, sonst kommen wir hoch. Glaubt ihr, wir kapieren nicht, dass ihr Bullen seid? Ihr Schweine.«
Inzwischen waren noch mehr Menschen hinzugekommen und hatten unter dem Baum ihren eigenen, kleinen Mob gebildet.
Ninos schrie auf Arabisch zurück: »Schnauze, ihr Dreckskinder! Wir sind Journalisten, keine Bullen.« Im gleichen Moment, in dem er das sagte, hätte er sich die Zunge abschneiden können. Ein Journalist auf einem Baum war möglicherweise sogar schlimmer als ein Bulle auf einem Baum. Und tatsächlich drangen schon die ersten Buhrufe von unten herauf.
»Journalisten – ah, widerliches Pack.«
»Glaubt ihr, die Leute in Rinkeby sind wie Tiere im Zoo«, schrie ein anderer. Hauen Sie ab und lassen die in Ruhe, die den Armen helfen wollen. Wir mögen sie. Kapiert?«
»Haltet die Klappe, und seid nicht so frech!«, schrie Ninos.
Die Jugendlichen begannen, Kies und Steine nach ihnen zu werfen. Der Fotograf war mittlerweile rot vor Anspannung. Auch Ninos wurde rot, allerdings eher aus Wut. Gerade war er auf dem Weg nach unten, um den Kindern unterm Baum eine Ohrfeige zu verpassen, als er eine wohlbekannte Stimme hörte. »Was zum Teufel machst du denn da oben?«
Es war Ömer Tunc. Der wahre Ömer Tunc.
Ninos lachte vor Erleichterung laut auf. »Was in aller Welt machst du hier?«
»Arbeiten, weißt du doch, hast du doch selbst organisiert.« Ömer mahnte die Jugendlichen barsch zur Ruhe. »Er ist ein Bruder. Einer von uns. Haut ab. «
Sie zerstreuten sich widerstrebend und zogen von dannen. »Wer ist denn der Typ da unten? Sind Sie von der Mafia oder was?«, fragte der Fotograf erschrocken.
»Haben Sie das Foto?«, fragte Ninos. Der Fotograf nickte.
»Na also.« Ninos lächelte ihn an, während sie sich von ihrer gegenüberliegenden Seite des Baumstammes aus beinahe umarmten. Dann nickte er ernst.
»Ja. Ich bin bei der Mafia.«
30
Der erste Artikel wurde am Esstisch zu Hause bei Emil in der Västmannagata in Vasastan verfasst. Es war in der Osterwoche, und seine Kinder hatten Ferien vom Kindergarten. Ab und zu landete etwas bunte Knete oder Apfelmus auf Ninos’ Aufzeichnungen, aber das machte nichts. Er war glücklich, wenn er von Kindern umgeben war, und jetzt kletterten gleich drei von ihnen in unterschiedlichen Größen auf ihm herum. Die Jüngste hieß Elvira und war knapp drei Jahre alt. Sie fand sofort an Ninos lockigem Haar Gefallen und gab nicht nach, bis sie auf seinem Schoß sitzen konnte, um an die Haarsträhnen zu gelangen und an ihnen zu ziehen, bis Ninos vor Schmerz das Gesicht verzog.
Emil wohnte in einer geräumigen, hellen Wohnung, die nahezu ohne Wände auskam, aber viele große, weiße Flächen hatte. Die Familie besaß verhältnismäßig wenige Möbel, fand Ninos. Viel Glas und matte Chromlampen. Einige hart gepolsterte, hellgraue Sofas. Und als Kontrast dazu einen grell türkisfarbenen, runden Teppich auf dem Boden. Kein einziger Bilderrahmen oder sonstige Ziergegenstände, abgesehen von einer riesengroßen Plastikhand im Flur, an der man seine Jacken aufhängen konnte.
Aber es gefiel Ninos, dass es sauber war. Emil hatte ihm im Vertrauen erzählt, dass jede Woche eine Putzfrau kam und für fünfzig schwarze Kronen in der Stunde den Schmutz beseitigte. Ninos hatte schwören müssen, es niemandem in der Redaktion weiterzuerzählen, obwohl er nicht verstand, warum das dem Kollegen so wichtig war.
Emil verbrachte eine gewisse Zeit damit, seine Kinder auszuschimpfen,damit sie nicht so viel kleckerten und schmierten, während er gleichzeitig ohne Bedenken ununterbrochen große Mengen an Farbkreide, Eis und anderem Essen verteilte, was die Kinder enthusiastisch auf verschiedenen freien Flächen zu einer Masse
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