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Die Wolfsjägerin: Roman (German Edition)

Die Wolfsjägerin: Roman (German Edition)

Titel: Die Wolfsjägerin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarwat Chadda
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physische Veränderung erfolgte zuletzt. Aber sie durfte nicht nachgeben. Sie hatte noch eine Aufgabe zu erfüllen.
    Iwan ergriff ihre Hand.
    »Folgt mir«, sagte Olga. Billi und Iwan taten wie geheißen, und ein paar Schritte hinter ihnen kam Swetlana mit Wassilissa. Billi warf einen Blick über die Schulter und sah, dass Wassilissa sich steif bewegte; ihre Augen blickten in den Wald vor ihr. Ihr Atem quoll wie Dampf hervor, in einem abgehackten, verzweifelten Keuchen. Sie war eindeutig starr vor Angst wegen dem, was vor ihr lag.
    »Wassilissa …« Billi wollte sie trösten, aber es gab nichts, was sie tun konnte. Das wusste sie, und das wusste auch Wassilissa.
    Das Lager war groß – etwa dreißig bis vierzig Zelte waren über eine Lichtung im Herzen des Waldes verteilt. Reich geschmückte Fähnchen und Totems hingen von Bannern vor den meisten Zelteingängen. Andere waren mit Pelzen und Perlenvorhängen individuell gestaltet; ihre Außenwände waren mit schamanistischen Symbolen bemalt, die Billi nicht kannte.
    Ein Mann mit langem schwarzem Haar und üppig tätowiertem Gesicht stand vor einem Zelt, das ringsum mit Strichmännchen bemalt war, die von riesigen Wölfen gejagt wurden; ein sichelförmiger Mond hing darüber. Der Mann sah sie an und wandte dann seine Aufmerksamkeit einem Steinadler zu, der sie alle von einem hohen Ast aus beobachtete. Kleine silberne Glöckchen klimperten an den Bändern an seinen Beinen. Der Mann hob die linke Faust, die von einem dicken Lederhandschuh geschützt war, und stieß einen kurzen Pfiff aus.
    Der Adler stürzte sich geradewegs auf sie herab. Im letzten Augenblick breitete er die Flügel aus, bremste ruckartig ab und landete sacht auf der Faust des Mannes. Der Vogel flatterte mit den riesigen Flügeln, deren Spannweite weit mehr als Billis Körpergröße betrug, und sie war nicht gerade klein. Seine Federn schimmerten: Ihr Glanz spielte von Gold über Orange bis in ein kräftiges Dunkelbraun. Der Adler wandte den Kopf hin und her und schrie zornig; vielleicht ärgerte es ihn, dass er von seinem königlichen Sitz hoch oben zwischen den Sternen hatte herabkommen müssen. Der Mann streichelte den wütenden Vogel zärtlich und summte besänftigend.
    Neben dem tätowierten Mann standen zwei blonde Skandinavier, wahre Bären von Männern, die beide ärmellose Körperwärmer trugen. Sie werkelten am Motor eines zwanzig Jahre alten Land Rover herum.
    »Alles Werwölfe?«, fragte Billi.
    Olga schüttelte den Kopf. »Nein. Diese Männer sind bloß Gespielen. Unser Biss weckt nur Frauen«, antwortete sie mit einem Anflug von Stolz.
    »Verwandelt sie in Ungeheuer, willst du sagen?«
    Olga lächelte sie an. Billi hatte geglaubt, dass sie wütend werden würde, aber die alte Frau schien Billis Bemerkung nur erheiternd zu finden.
    »Morgen wirst du anders darüber denken, das verspreche ich dir.«
    Sie verließen das Licht der Lagerfeuer und drangen in den umgebenden Wald vor. Die Dunkelheit störte Billi nicht. Obwohl der Mond von Wolken verhangen war, konnte sie die schwarzen Wurzeln, die frostüberzogenen Felsen und die Muster der Rinde sehen. Große Findlinge, die von irgendeinem eisigen Rückzugsort hierhergeschwemmt worden waren, wiesen uralte Krallenspuren und schwache Überreste von Bemalung auf – seltsame Spiralmuster und Darstellungen von Tieren und Hexen.
    Frauen begannen sich um einen riesigen Felsen zu versammeln. Ob alt, jung oder mittleren Alters – sie schlichen durch die Bäume, angetan mit Bemalung, angetan mit Tätowierungen, angetan mit Perlen, Pelzen und Macht. Sie entstammten allen Nationen und Völkerschaften. Schwarzafrikanerinnen und blonde Skandinavierinnen. Dunkelhaarige Mongolinnen und braunhäutige Frauen vom indischen Subkontinent und aus dem Osten. Aber sie hatten ihr früheres Leben aufgegeben, als sie ein Teil der Polenitsy geworden waren, Teil einer älteren, archaischen Identität. Ihre langen Haare flatterten wild im Wind. Eine hockte oben auf einem Ast; Federn und kleine Glöckchen hingen aus ihrem goldbraunen Haar.
    Die Frauen kamen näher und beobachteten stumm ihren Weg zum Felsen. Billi fühlte sich schwindelig, berauscht. Sie hielt Iwan sehr fest und schüttelte den Kopf, um den stummen Ruf zu unterdrücken, der von den Frauen, den Polenitsy, ausging. Er war nicht hörbar; sie konnte ihn nur tief in ihrem Herzen spüren.
    Eine von uns .
    Tief drinnen in ihr riss das Innere Tier an seinen Ketten; die Glieder wurden schwächer. Die Kleider, die

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