Die Wolfsjägerin: Roman (German Edition)
Tier. Beiß zu! Kratze! Töte! Billi wurde rot vor Augen, und ein Nebel des Zorns brüllte in ihrem Kopf auf. Irgendjemand packte ihren Mantelkragen, und Billi biss tief in die pelzige Hand. Die andere Person schrie, aber Billi schüttelte wild den Kopf und riss das Fleisch auf. Sie spürte das Blut frisch und heiß auf ihrer Zunge. Es schmeckte gut.
Billi riss sich betäubt aus dem Kampfgetümmel los; in ihrem Kopf drehte sich alles, ihre Beine waren schwach und fühlten sich an wie aus Gummi. Sie spuckte das Blut aus, wischte sich den Mund mit den Fingern ab, um die Besudelung durch den intensiven, köstlichen Geschmack zu entfernen.
»Ich bin keine Bestie!«, schrie sie.
Billi wehrte sich, aber die Erschöpfung wurde immer größer. Es waren zu viele. Die Wölfinnen mit ihren dunklen Fellen kletterten übereinander, um zu ihr zu gelangen. Die wilden Frauen bildeten einen kleinen Kreis um sie herum, und die Alte Graue, die Anführerin des Rudels, starrte sie mit kaltem Zorn an. Billis Arme wurden schwer, ihre Reflexe stumpften ab. Unsicher, aber noch auf den Beinen, bot Billi ihnen mit gesenktem Kopf und schwer atmend die Stirn; sie schnappte nach Luft. Sie spannte die Finger an und knurrte. Die Ungeheuer drängten sich um sie. Aber dann schwankte Billi, und der Boden unter ihr neigte sich. Ihr verschwamm alles vor den Augen, und sie fiel auf die Knie.
»Ich bin keine …«
33
»Billi. Wach auf.«
Billi stöhnte. Sie fühlte sich warm und sicher, als wäre sie unter der Erde begraben. Sie gehörte hier unten hin. Aber die Stimme ließ nicht locker.
»Billi. Wach auf.«
Sie bewegte sich, aber es fiel ihr schwer. Ihr Brustkorb pochte dumpf, und sie konnte nur winzige Atemzüge einhauchen. Sie berührte vorsichtig ihre Rippen und bemerkte, dass ihr Brustkorb von dicken Verbänden bedeckt war. Jeder Knochen tat ihr weh, jeder Muskel brannte und ließ qualvolle Schmerzblitze durch ihre Nerven zucken. Billi biss die Zähne zusammen und schob, kämpfte sich nach oben. Es war schweißtreibende Arbeit. Billi blinzelte, als sie hervorkam. Das orangefarbene Licht einer Öllampe flackerte an den Zeltbahnen einer mongolischen Nomadenjurte – eines ger –, und schwaches Sonnenlicht schien durch die halb geöffnete Türklappe herein. Sie war nicht begraben; sie lag nur unter einem Haufen stinkender Schafshäute.
Iwan saß neben ihr.
»Willkommen zurück«, sagte er, und sein Gesicht verriet große Erleichterung. Er wirkte, als sei er müde, aber bei guter Gesundheit.
Sein Bein war ordentlich neu geschient und verbunden worden, und seine Wangen hatten wieder Farbe. Er hatte frische, saubere Kleider erhalten: ein besticktes Hemd und schwere Wollhosen. Um die Taille trug er eine rote Schärpe, und um seine Schultern lag ein schwerer mongolischer Mantel aus glänzender, dunkelblauer Seide mit Wollfutter. Er sah aus, als wäre er geradewegs aus irgendeiner viktorianischen Erzählung hervorspaziert. Eine alte Holzkrücke lag auf dem Boden neben ihm.
Er reichte ihr eine Wasserkelle. Billi trank sie in einem Zug leer, und Iwan füllte sie erneut. Sie betrachtete ihre Hände und rechnete fast damit zu sehen, dass ihre Nägel zu Krallen geworden waren, aber nein, nichts hatte sich verändert.
»Du hast nicht nachgegeben«, sagte Iwan und reichte ihr die Kelle noch einmal.
Oh Gott, wie gut das Wasser schmeckte! Sie leckte sich die Lippen und genoss das leicht erdige Aroma, das in ihren Geschmacksknospen nachklang.
Es gab auch eine Schüssel mit kochend heißer Brühe; im sämigen Sud trieben frisch gekochte Brocken Hammelfleisch. Billi leerte die Schale binnen Sekunden und leckte sich dann die Finger sauber. Sie fing Iwans missbilligenden Blick auf.
»Tut mir leid.«
Sie schloss die Augen und atmete tief durch. Die Luft schwamm vor Düften: Schweiß und Kochdünste, der fast fruchtige Geruch verbleiten Benzins und köstlich rauchiges Hammelfleisch.
»Wie lange war ich bewusstlos?«
»Einen halben Tag. Es ist Freitagnachmittag«, antwortete Iwan.
»Uns läuft die Zeit davon«, sagte Billi. Wenn der Mond morgen aufging, würde Wassilissa sterben, und die Welt mit ihr.
Billi hatte die Verwandlung einmal abgewehrt, aber heute Nacht im Mondschein würde der Drang wiederkehren, stärker als zuvor. Und morgen, unter dem Vollmond? Sie würde sich verwandeln.
Billi betrachtete die ordentlichen, sauberen Verbände um ihren Unterarm, in den sie gebissen worden war. Aber das hier waren nicht Elaines Umschläge, sondern
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