Die Wolkenreiter Bd 2 - Kriegerin der Lüfte
das Zaumzeug über den Kopf streifen konnte. Sie achtete nicht weiter auf den Flugsattel, sondern sprang auf Sonis Rücken, drückte die Beine an die Decke und klemmte die Schenkel fest unter die zusammengefalteten Flügel. »Lauf, Soni! Wir müssen Seraph einholen!«, rief sie. Als Soni den Gang hinuntertrabte, riss Philippa in letzter Sekunde noch Seraphs Zaumzeug vom Haken. Sie legte es über Sonis Widerrist, steuerte sie zu der Straße, die Seraph hinuntergeprescht war, und ließ ihr freien Lauf.
Soni spürte die Dringlichkeit ihres Vorhabens und galoppierte los. Seraphs Spuren waren in der dünnen Schneedecke noch gut zu erkennen, doch durch die Sonne war die Straße rutschig und glatt geworden. Nach kurzer Zeit erreichten sie das Ende des Anwesens. Auf der Hauptstraße war der Schnee bereits geschmolzen. Die Spur endete, doch Soni war sich offenbar sicher, wohin sie laufen musste. Sie wendete so präzise, als bestünde die Oberfläche aus guter Erde und nicht aus dickem Kies, und galoppierte nach links.
Nur ein kurzes Stück folgten sie der Straße, dann führte
ein schmaler Weg hinunter zu ein paar kahlen Bäumen. Als Philippa den kleinen versteckten Stall wiedererkannte und sich an das Drama erinnerte, das hier seinen Anfang genommen hatte, witterte sie aufs Neue Gefahr. Auf dem schattigen Weg lag noch Schnee, und sie erkannte Hufspuren. Sie wendete Soni, und sie galoppierten auf das Birkenwäldchen zu. Die Stute lief bereits so schnell, wie es ihr auf dem unsicheren Boden möglich war, deshalb trieb Philippa sie nicht noch zusätzlich an. Sie klammerte sich mit den Schenkeln an Sonis Körper. Sie würde nicht herunterfallen, aber es war doch eine ganze Zeit her, dass sie ohne Sattel geritten war.
Der Weg führte um das Wäldchen herum, und Philippa konnte Seraph hören, lange bevor sie ihn sah. Als sie die Bäume hinter sich ließen, erblickte sie den kleinen Hengst, der hin und her galoppierte und schrill wieherte. Zweifellos war Lark dort irgendwo.
Soni hielt unvermittelt an. Philippa schwang gerade noch rechtzeitig ihr Bein über den Rücken der Stute und stürzte fast zu Boden. Sie rannte zur Tür der Sattelkammer und riss sie auf. In dem Augenblick hörte sie die Stimmen von Larkyn und Wilhelm.
Sie lief dorthin und bemerkte zunächst nicht, dass Seraph ihr auf den Fersen folgte.
Lark hörte, wie Tup draußen durchdringend wieherte und hin und her galoppierte, doch sie konnte nicht nach ihm rufen. Wilhelm hielt ihr mit einer Hand den Mund fest zu und hob sie mit der anderen hoch, presste ihren Rücken an sich, und schleppte sie vorsichtig an dem Fohlen vorbei aus dem Stall. Als er das Gatter geschlossen hatte, stieß er Lark gegen die gegenüberliegende Wand und legte beide Hände
um ihren Hals. Er drückte so fest zu, dass sie das Gefühl hatte, ihr würden die Augen aus dem Kopf quellen.
»Wilhelm! Nein!« Das war Meisterin Winters Stimme. Sie klang vor Verzweiflung schrill.
Im nächsten Moment tauchte Tup auf. Er schleuderte Meisterin Winter zur Seite, als er mit gebleckten Zähnen und angelegten Ohren an ihr vorbeipreschte. Er machte den Hals lang und packte die Schulter des Fürsten zwischen seinen Zähnen. Er schüttelte den Fürsten wie ein Oc-Hund eine Ratte. Wilhelm stieß vor Schreck und vor Schmerz einen durchdringenden, hellen Schrei aus. Die Stute wieherte nervös, und das Fohlen lief ängstlich wimmernd in der Box auf und ab.
Wilhelm ließ Lark sofort los. Im selben Moment lockerte auch Tup seine Kiefer. Der Fürst wirbelte herum und hob die Gerte, um zuzuschlagen.
Tup schnaubte dunkel und wich zurück. Er hockte sich dabei fast auf die Hinterläufe und wirbelte mit dem nervös peitschenden Schweif das Sägemehl im Gang auf.
Philippa hatte ihr Gleichgewicht wiedergefunden, stemmte die Fäuste in die Seiten und marschierte an Tup vorbei. Vor Wilhelm blieb sie stehen und starrte ihn an. »Was hat das zu bedeuten?«
Lark sackte an der Wand zusammen und hielt sich die Hände an den Hals. »Er hat versucht, mich umzubringen!«, keuchte sie.
Der Fürst schnaubte verächtlich. »Mach dich doch nicht lächerlich, Göre. Wieso sollte ich so etwas tun?«
Sie sah ihn vorwurfsvoll an. »Er hat es versucht!«, sagte sie schwach. »Tup hat es geahnt, deshalb hat er …«
»Haben Sie den Verstand verloren, Wilhelm?«, fragte Meisterin Winter.
»Für Sie immer noch Fürst Wilhelm, Pferdemeisterin«, erwiderte er beiläufig, fast so, als hätten sie sich gerade zum Tee getroffen, und
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