Die Wolkenreiter Bd 2 - Kriegerin der Lüfte
die Eingangshalle. Sie öffnete die Tür und trat nach draußen. Bei dem Klicken des Schlosses wirbelte die Gestalt herum und sah sie an.
»Hallo?«, sagte Philippa.
»Oh!« Es war eine Frauenstimme, und als die Besucherin den Hut abnahm und einen ungeschickten Knicks machte, blickte Philippa in ein dralles Gesicht. »Ich weiß, es ist schon spät, aber ich bin so weit gelaufen … und ich weiß nicht, wo ich hingehen soll.«
»Es ist allerdings schon sehr spät«, erwiderte Philippa.
»Am besten kommen Sie herein. Seien Sie bitte leise. Alle schlafen schon.«
»Oh, ja«, flüsterte die Frau. Sie hielt den Hut in beiden Händen und stieg ungelenk die Treppe hinauf, so als schmerzten ihre Füße. Philippa trat zur Seite, um sie vorbeizulassen, und entdeckte, dass die Frau keinen Mantel trug, sondern einen ziemlich zerrissenen Schal, den sie mehrfach um ihre gebeugten Schultern geschlungen hatte. In einer Hand hielt sie einen Lederbeutel.
Als sie in der Halle des Wohnhauses angelangt waren, setzte die Frau den Ledersack ab und blieb verunsichert mitten auf dem gekachelten Boden stehen. Philippa entzündete mit einem Streichholz zwei Öllampen in einer Nische. Als sie ordentlich brannten, drehte sie sich mit fragendem Blick zu der Frau um.
Die Besucherin war bereits ein wenig älter, hatte rote Wangen und trug die grauen Haare zu einem Zopf auf dem Rücken geflochten. Ihre Augen waren rot und geschwollen, das Gesicht verhärmt und voll Kummer. Mit bebender Stimme sagte sie: »Ich bin Valeria Braun. Rosella war meine Tochter.«
Philippa fasste sich erschrocken an den Hals. »Bei Kallas Fersen«, flüsterte sie. »Es tut mir so leid, Meisterin Braun.« Rasch ging sie auf die Frau zu und packte ihre Hände. Der Hut fiel unbeachtet zu Boden. »Sagen Sie nicht, dass Sie den ganzen Weg zu Fuß gekommen sind!«
Sie hörte, wie die Tür zu der Wohnung jenseits der Treppe auf- und wieder zuging. Es tat ihr leid, dass sie die Hausdame geweckt hatte, aber sie konnte es nicht ändern. Sie legte einen Arm um die Schultern der trauernden Mutter. »Kommen Sie mit in die Küche, Meisterin Braun«, sagte sie. »Sie müssen etwas essen.«
»Vielleicht könnte ich eine Tasse Tee bekommen, wenn es keine Umstände macht.« Bei dem letzten Wort versagte ihre Stimme, und sie schluchzte verzweifelt auf. Philippa führte sie in den hinteren Teil des Wohnhauses, wo es eine kleine Küche gab, in der man Tee, Kaffee, Brot und ein paar andere Zutaten fand, um sich eine Zwischenmahlzeit zuzubereiten. Als sie die Tür öffnete, traf sie auf die Hausdame, die bereits den Kessel auf den Ofen und Tassen bereitgestellt hatte.
»Sie sind ein Schatz«, erklärte Philippa dankbar. Sie stellte die beiden Frauen einander vor und schob Valeria Braun einen Stuhl hin. Rosellas Mutter nahm eine Tasse Tee, umfasste sie mit ihren schwieligen Arbeiterinnenhänden und sah zu Philippa auf.
»Er will nichts unternehmen«, platzte sie heraus.
Philippa wollte Meisterin Braun gerade fragen, was sie damit meinte, als es ihr klar wurde. Sie machte eine ungehaltene Geste angesichts ihrer eigenen Begriffsstutzigkeit und sagte: »Ach, Sie meinen den Fürsten?«
»Ja, Meisterin. Mein Mann hat gehört, dass der Fürst gesagt habe, da könne man nichts machen.«
»Viele im Rat der Edlen waren anderer Meinung, Meisterin Braun.«
»Aber sie helfen uns nicht«, erwiderte die Frau. Ihre Augen wirkten trostlos. »Das bringt mir meine arme Lissih nicht zurück oder bestraft diese Teufelskerle für das, was sie Rosella angetan haben.«
»Es tut mir so unendlich leid um Rosella«, sagte Philippa leise. »Uns allen tut es leid. Sie war ein gutes, hart arbeitendes Mädchen. Wir vermissen sie.«
Die Hausdame stellte einen Teller mit Butterbroten auf den Tisch und zog sich aus der kleinen Küche zurück.
Philippa schob den Teller näher zu ihrem Gast.
»Wissen Sie, was sie ihr angetan haben?«, fragte Valeria Braun mit kummervoller Stimme.
Philippa wollte es nicht wissen. Sie hatte erfahren, dass Rosella tot war, und hatte nicht nach Einzelheiten gefragt. Das konnte sie der Mutter des Mädchens allerdings schwerlich sagen. Sie schüttelte stumm den Kopf.
»Sie sind über sie hergefallen«, erklärte Meisterin Braun. »Vergewaltigung ist kaum das richtige Wort dafür. Erst haben sie sie vergewaltigt und dann …« Sie senkte den Kopf und schwieg eine ganze Weile. Schließlich flüsterte sie: »Mein armes Mädchen. Alles, was sie jemals gewollt hat, war, mit den
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