Die Wolkenreiter Bd 2 - Kriegerin der Lüfte
bevorstehende Auseinandersetzung mit dem Fürsten und die Meinungsverschiedenheit unter den Edlen des Rates. Jetzt wollte sie nur die Freiheit des Fliegens genießen. Sie legte eine Hand auf Sonis Widerrist und spürte die Wärme ihrer Muskeln, die erstaunliche Kraft ihres Körpers.
Es war unrecht, dass Wilhelm mit den Blutlinien herumpfuschte und diese wundervollen Geschöpfe gefährdete. Sie würde nicht zulassen, dass er sich derart einmischte, sondern ihn auf Schritt und Tritt bekämpfen.
Kapitel 6
L ark, Hester und die übrigen Zweitklässlerinnen waren auf der Trockenkoppel hinter den Ställen, als sie Philippa mit Wintersonne in der Abenddämmerung auf die Akademie zufliegen sahen. Hester legte den Kopf in den Nacken, um sie zu beobachten, und verlor dabei ihren vorgesehenen Platz in der Formation.
Die Lehrerin Susanna Stern hatte sie ohne Pferde im Ausführen von Spitzkehren unterrichtet. Zu Fuß vollführten die Mädchen die Figuren, die sie später im Flug ausführen würden. Sie übten die Formationen wieder und wieder, bis sie ihnen in Fleisch und Blut übergegangen waren. »Hester!«, wies die Pferdemeisterin sie streng zurecht, »wenn Sie nicht aufpassen, werden Sie diese Formation nie lernen. Denken Sie daran, dass Sie nicht nur sich selbst mit dieser Unaufmerksamkeit in Gefahr bringen. Wer auch immer neben Ihnen fliegt, ist auf Ihre Genauigkeit angewiesen.«
»Ja, Meisterin Stern, es tut mir leid«, erwiderte Hester reumütig und trat zurück an ihren Platz. Lark versuchte sich auf den Weg zu konzentrieren, dem sie folgen sollte, aber ihr Blick glitt ebenfalls zum Himmel, um die Landung der fuchsbraunen Stute zu beobachten. Beide Mädchen hofften, dass Meisterin Winter Hilfe geholt hatte.
Hester hatte von ihrer Mamá gehört, dass die Edlen des Rates es abgelehnt hatten, wegen des Überfalls auf das nördliche Dorf etwas zu unternehmen. Die Zahl der Todesopfer
war mit sechs verhältnismäßig gering, und die entführten Kinder waren wahrscheinlich bereits tot. Niemand schien sich darum zu scheren, dass auch ein Stallmädchen der Akademie abgeschlachtet worden war. Der Gedanke, dass der grausame Tod der armen Rosella auf so herzlose Weise ignoriert wurde, trieb Lark unwillkürlich die Tränen in die Augen, und sie stolperte.
Meisterin Stern schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Larkyn, nicht auch noch Sie. Bei Kallas Zähnen, ihr Mädchen müsst euch konzentrieren! Noch einmal. Anabel, Sie sind die Erste auf der linken Seite. Jede merkt sich die eigene Position und die der Mädchen neben ihr – denkt an den Platz für die Flügel – und jetzt: fünf Schritte nach rechts. Behaltet eure Führerin im Auge! Absenken und fünf Schritte nach links. Halbe Wende und …«
Lark hatte das Gefühl, dass die Ausbildung heute kein Ende nehmen wollte. Hester schnitt ihr bei einer Großen Wende eine Grimasse. Lark schloss kurz die Augen. Seit der Tragödie war keine von ihnen so richtig in der Lage gewesen, sich auf ihre Studien zu konzentrieren. Allein das Fliegen lenkte sie von Kummer und Sorgen und den schrecklichen Erinnerungen ab, wenn auch nur kurz.
Als Meisterin Stern sie schließlich entließ, damit sie den Pferden für die Nacht eine Decke überlegen konnten, stand Wintersonne bereits in ihrem Stall. Das neue Stallmädchen Erna füllte den Wassereimer und verteilte eine Fuhre Heu in ihrem Vorratsbehälter. Lark und Hester blieben in dem mit Sägemehl ausgestreuten Gang stehen und warteten, bis die anderen Mädchen an ihnen vorbeigegangen waren.
»Erna«, sagte Hester schließlich. »Wo ist Meisterin Winter?«
Erna warf den beiden Mädchen einen gelangweilten Blick zu. »Soweit ich weiß, ist sie zur Halle gegangen«, antwortete sie gedehnt. »Wahrscheinlich will sie zu Abend essen. Hat mir ihre Stute aufgehalst, damit ich sie versorge.«
Hester verdrehte die Augen, was nur Lark sehen konnte, als sie sich von Erna abwandten. Als sie um die Ecke zu ihrem Teil der Stallungen kamen, flüsterte sie: »Die bleibt nicht lange. Was für ein Muffkopf!«
»Ja, das ist sie. Rosella hätte niemals …« Lark schnürte sich die Kehle zusammen.
Hester legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Lass dir Zeit«, beruhigte sie ihre Freundin sanft. »Wir kommen darüber hinweg.«
»Tausend Tage Trauer, sagen wir im Hochland«, erklärte Lark. »Und wir haben bislang noch nicht sehr viel durchgemacht.« Sie seufzte. »Ich hoffe nur, dass Meisterin Winter …« Das Krachen von Hufen auf Holz unterbrach sie,
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